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Vom Kult der schlechten Laune

INTERVIEW: Er beschimpfte einst Wien, wollte die Stadt erschlagen wie eine Sau und kam doch nicht los von ihr: André Heller und seine eigenwillige Liebeserklärung an „sein Wien“. Text: Frido Hütter

Vom Kult der schlechten Laune

Bevor wir in die Gegenwart driften, muss ich eine Frage stellen: Vor 40 Jahren besangen Sie mit Helmut Qualtinger Ihre Heimatstadt als alte Frau, die Sie erschlagen würden wie eine Sau. Heute wohnen Sie mitten im ersten Bezirk und scheinen sich wohlzufühlen, wie das?
ANDRÉ HELLER: Es wäre ja eine Katastrophe, wenn ich mich nicht lernend verwandelt hätte. Ich bin mittlerweile ein grundsätzlich anderer und daher auch auf einen anderen Ton gestimmt. So ein brachiales, vordergründig provokantes Lied käme mir heute Gott sei Dank nicht mehr in den Sinn.

Was haben Sie in den Siebzigern an Wien besonders gehasst und wer waren damit verbundene Personen?
Gehasst habe ich zu jedem Zeitpunkt meines Lebens sehr wenig bis gar nichts, aber abgelehnt habe ich oft etwas. Dazu gehörte damals die wehleidige Selbstzufriedenheit so vieler lokaler Künstler, aber auch meine persönliche elende Langsamkeit bei der Anhebung und Verfeinerung meines Bewusstseins.

War der Einfluss alter Nazis damals noch sehr groß?
Belieben Sie zu scherzen? Sie waren natürlich noch beinah überall prominent tätig. In den Regierungen, im Parlament, bei der Beamtenschaft, an den Unis, als Lehrer in den Haupt- und Mittelschulen, es gab sie unter den Akademikern, Kleinbürgern und auch beim Klerus und bei älteren Künstlern.

War die Waldheim-Affäre mit ihren Folgen auch eine Art Frischzellenkur für Wien?
Die Waldheim-Turbulenzen waren ja erst 1985 und einige Qualitätsmedien, einige wache Historiker und unsere beharrlichen Mahnwachen vor dem Stephansdom haben sicher einen gewissen polithygienischen Reinigungsprozess angestoßen. Aber vergessen Sie nicht, schon 1965 kam es zu einem ernsten Aufruhr wegen des Hochschulprofessors Taras Borodajkewycz, dessen unsägliche naziideologisch aufgeladenen, rabiat antisemitischen Äußerungen während seiner Vorlesungen auf der Hochschule für Welthandel vom damaligen Studenten und späteren Finanzminister Ferdinand Lacina dokumentiert wurden. Der blutjunge Ossi Bronner hat das Material an seinen Vater, den bedeutenden Kabarettisten Gerhard Bronner, weitergegeben und der besaß den Mut, zu dem Thema eine viel gesehene Fernsehsendung zu produzieren. Diese wiederum führte in Wien zu großen politischen Demonstrationen, in deren Rahmen der ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger ums Leben kam. Das war zumindest für mich und meine Freunde der Beginn der Zerschlagung des Schweigekartells, bezüglich der bis dahin staatstragenden Nichtaufarbeitung unserer bitteren Vergangenheit. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_rightUnd die aktuelle Lage?
Aus jetziger Sicht ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass die FPÖ trotz Ibiza-Skandal in Wien weiter an Boden gewinnt. Der heftige Aufstieg der FPÖ war ganz klar ein Arbeitsergebnis der Großen Koalition und daher auch im Speziellen der SPÖ, die, während Jahrzehnten an der Macht, Nöte, Verwirrungen und die ansteigende Wut sehr vieler Menschen nicht engagiert genug ernst genommen hat und deshalb auch keine breitenwirksamen Taten setzte. Kluge Taten, die geeignet gewesen wären, das zunehmende Abdriften eines Gutteils ihrer Stammwähler in die mit Neid, Grobheit, Rassismus und Wirklichkeitsverdrehungen der absurdesten Art angereicherten Gewässer der Rechtspopulisten zu verhindern. Mein ganzes Leben besteht aus Konsequenzen ziehen und dem Versuch, möglichst verantwortungsvoll auf die Herausforderungen der Polarität zu reagieren. Nehmen wir nur die sehr erfolgreiche, von Patricia Kahane, Elke Zuckermann und mir veranstaltete NOW-Konferenz mit Bürgermeistern aus elf Ländern, Jugendlichen aus 15 Ländern und internationalen Experten zum brennenden Thema: aktive politische Teilhabe junger Menschen an der Demokratie und an den Weichenstellungen für die Zukunft unseres gefährdeten Planeten. Die Jungen sind es ja, die dereinst ausbaden müssen, was zynische oder opportunistische oder denkschwache oder korrupte Regierende weltweit an katastrophalen Fehlentscheidungen, etwa zum Klimawandel treffen.

Ihr Sohn Ferdinand alias Leftboy blickt schon auf eine beachtliche Karriere zurück, kann man das von Wien aus machen oder muss er nicht mindestens nach Berlin?
Wien ist per saldo eine großartige Stadt und durch das Internet befindet man sich ja jederzeit effizient an allen Orten der Welt.

Wien wird international immer wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt, zu Recht?
Wenn Sie wie ich alle paar Wochen aus Afrika nach Wien zurückkommen, glauben Sie in einer Spielart des Schlaraffenlandes zu sein: Vom Klima bis zum Wasser, von der Sicherheit bis zur Architektur, von der medizinischen Versorgung bis zur Müllabfuhr, vom Wienerwald bis zum kulturellen Angebot, von den Einkaufsmöglichkeiten bis zu den Ausbildungsangeboten, Förderungen und tausenderlei mehr liegt diese Hauptstadt, eines der reichsten Länder der Welt, qualitativ ganz, ganz weit vorne und die Probleme, die es natürlich auch gibt, scheinen mir alle bewältigbar. Denjenigen, die hobbymäßig in Wien Tag und Nacht matschkern, sollte man ein Stipendium zum Besuch und Studium der grausamen Wirklichkeiten großer Städte Afrikas, Asiens und Südamerikas spendieren.

Wean kannst net dasingen, Wean kannst net daschreiben, Wean kannst da nur jeden Tag frisch unter d’ Nasen reiben.

André Heller
Vom Kult der schlechten Laune

Des Wean, des is a oide Frau Sie kon scho nimma kreun. Und in da Goschn tuan de Zähnd unhamlich schiach vafäuln!

Doch bin ich leider selbst aus Wean – ein Kind von dera Frau. Drum woart i bis zum Muttertag. Das i’s daschlog, di Sau!

André Heller & Helmut Qualtinger 1972

ZUR PERSON André Heller, geb. am 22. März 1947, ist ein österreichischer Künstler, Vordenker, Autor, Poet und Kulturmanager. Er ist zum Beispiel Mitbegründer von Ö3 und genauso bekannt für spektakuläre Kulturveranstaltungen wie für seine politischen Statements. Er lebt in Marrakesch und Wien.

Machen wir ein bisschen Werbung für gute Gastronomie, welche drei Futterplätze empfehlen Sie persönlich?
Ich genieße gute österreichische Hausmannskost, wie sie das Gasthaus Huth anbietet. Dann die italienische zwischentonreiche Küche von Fabio und Cantinetta Antinori und das erstklassige marokkanische Essen von L’Orient in der Rotensterngasse 22.

Verirren Sie sich manchmal auch an einen Würstelstand?
Nein, ich esse nicht gerne im Stehen.

Gibt es irgendwelche geheimen Lieblingsorte in Wien, die Sie hier ausnahmsweise verraten möchten?
Den Josefsplatz nachts, wenn es schneit, den Tropensaal des Palmenhauses von Schönbrunn, wenn es draußen regnet, und den Platz in meinem Herzen für meinen Sohn und meine beiden Enkeln.

Kennen Sie in Wien großartige Gegenwartsarchitektur, deren Besichtigung empfehlenswert ist?
Zum Beispiel der WU Campus beim Prater mit Bauten von NO.MAD, Hitoshi Abe und Zaha Hadid ist durchaus einen Ausflug wert.

Sie selbst lebten in Wien stets in historischem Gemäuer. Empfanden Sie nie den Wunsch nach einem Neubau ganz nach Ihren Wünschen oder reichen Ihnen dafür Ihre Häuser in Marrakesch?
In Wien habe ich fast 50 Jahre in einer von Adolf Loos für meine Großmutter entworfenen Villa in Hietzing gelebt, dann im ersten Bezirk in Gebäuden aus der Barockzeit. Das Zeitgenössische ist in meinen Räumen immer durch Teile der Einrichtung und Kunstwerke vertreten und die energetische Gegenwart in meinen Wohnsitzen bin hoffentlich ich selbst. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_right Und was geht Ihnen in Wien bis heute auf die Nerven?
Bei allzu vielen Bewohnern ein gewisser Kult der schlechten Laune.

Wenn Sie Wien eine Zeit lang absolutistisch regieren könnten, was wären Ihre wichtigsten Vorhaben?
Sofort sicherzustellen, dass niemand die Stadt absolutistisch regieren darf.

Sie sind zweifacher Großvater, Ihr älterer Enkel ist 7, wohin gehen Sie mit ihm, um ihm eine Freude zu machen?
Zuletzt hat ihn ein gemeinsamer Besuch in einer Keith-Haring-Ausstellung begeistert.

Kann man auch Kindern in diesem Alter den Sinn für Feines schärfen? Wie schafft man das überhaupt?
Bedingungslose Liebe und sie nicht nur als faszinierende Lernende, sondern auch als unsere eigenen hochinteressanten Lehrer wahrnehmen, achten.

Ein Heller’sches Liebeslied an Wien steht noch aus, wie würden die letzten Zeilen lauten?
Das Lied gibt es schon seit 40 Jahren: Wean kannst net dasingen, Wean kannst net da­schreiben, Wean kannst da nur jeden Tag frisch unter d’ Nasen reiben.

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