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"Die Natur braucht micht nicht"

PORTRÄT: Lese lieber ungewöhnlich: In Grinzing schenkt eine junge Winzerin Sieveringer Ringelspiel, Rakete, Fürchtegott und „Ein Liter Wien“ aus. Zeit für ein lebenswertes Gespräch mit Jutta Ambrositsch. Text: Birgit Pichler, Fotos: Kurt Pinter

Die Natur braucht micht nicht

Edgar nascht an den Schuhbändern. 13 Jahre alt ist der Terrier jetzt. „Geh auf deinen Platz“, wird er aufgefordert. Mehrmals. „Er macht’s eh nicht“, sagt Jutta Ambrositsch dann und grinst. In gewissem Sinn sind sie sich ähnlich, der Hund und die Winzerin. Sie haben ihren eigenen Kopf. Und das ist ein Glück. Denn sonst gäbe es wohl keine so außergewöhnlichen Weine wie das Sieveringer Ringelspiel. Schon 1952 wurden die Rebstöcke in dem Weingarten im 19. Bezirk ausgepflanzt. Jeder wirtschaftlich denkende Winzer hätte sie längst ausgerissen. Nicht so Jutta Ambrositsch. „Das hätt ich nicht übers Herz gebracht. Was die schon alles gesehen haben!“ So dürfen sie fortbestehen und danken es, indem sie jedes Jahr rares Traubenmaterial für einen Gemischten Satz liefern, den die Winzerin ihre „exzentrische Diva“ nennt. Und der ausgerechnet in New York von einem heimischen Händler entdeckt wurde. Aber begonnen hat alles schon viel früher.

Als Jugendliche zog die gebürtige Kärntnerin mit ihrer Mutter ins Burgenland und später zur Ausbildung nach Wien. Sie wurde Grafikerin, ging in die Werbung und hatte es schön, wie sie sagt. Trotzdem zog es sie immer wieder ins Burgenland, zurück zur Natur, „weil ich Erde unter den Nägeln gebraucht habe“. Sie pachtete am Eisenberg einen Weingarten – mit 129 Stöcken Blaufränkisch. Um einen Euro im Jahr. „Ich war rasend glücklich und hatte keine Ahnung, was ich damit machen soll.“ Also wurde sie zum Schatten von Winzer Uwe Schiefer, ging mit ihm in den Weingarten, um zu lernen. Die kleine Ernte kam in ein Halbfass, der Wein schmeckte. Und so beschloss die Grafikerin, Weinbäuerin zu werden. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_right Weil sich die Idee in Jutta Ambrositschs Kopf eingenistet hatte wie das Vogerl auf dem Kahlenberg, wanderte sie über die Hänge Wiens, bis sie genau wusste, welche Weingärten nicht bewirtschaftet wurden. Und das waren einige. Es war die Zeit, als die Vorbildung in Sachen Wiener Wein auf das reduziert war, was man der Bedienung beim Heurigen mit auf den Weg gab – Weiß oder Rot. Wenn man zum Takt der Schram­melmusik die Alltagslast von den Schultern schunkelte, war sowieso alles andere nebensächlich.
Eine Nebensächlichkeit ist er heute nicht mehr, der Wiener Wein. Ein nahezu kometenhafter Aufstieg liegt hinter ihm. In einer Großstadt wohlgemerkt, weltweit eine Seltenheit. Und hier, an den Hängen des Reisenbergs, stand Jutta Ambrositsch im Juli 2004 vor Ferdi­nand Hengl. Der ehemalige Obmann des Grinzinger Weinbauvereins hatte versprochen, einen Weingarten für sie zu finden – doch niemand wollte ihr einen verpachten. Deshalb gab er ihr zwölf Reihen, ein Viertel Hektar, von seinem eigenen ab.
Von früh bis spät arbeitete die junge Frau im Weingarten, anfangs ohne recht zu wissen, was sie tat. Vor allem arbeitete sie an sich selbst. Denn in ihrem Job als Grafikerin war sie die Gestalterin ihres Produkts, gab ihre Linie vor. Dieses Produkt aber war anders. Zwölf Weißweinsorten für einen Gemischten Satz rankten in fröhlichem Wildwuchs durcheinander – Riesling neben Grünem Veltliner, Weißburgunder neben Sauvignon, längst vergessene wie Österreichisch Weiß, Jubiläumsrebe oder Rosenmuskateller. „Ich habe alle Triebe rausgenommen, die nicht im rechten Winkel gewachsen sind, alle Blätter weggeschnitten, die mir nicht gefallen haben. Rein nach optischen Kriterien. Das war Irrsinn!“ Doch die Neowinzerin konnte „nicht akzeptieren, dass etwas schief wächst“ und sie keinen Einfluss darauf hatte.


Die Natur braucht micht nicht

Nach dem Bürojob: Arbeitsplatz mit fabelhafter Aussicht


Sie machte ein Praktikum bei Hans Nittnaus in Gols. Mit der Zeit kam die Sicherheit und die Erkenntnis: „Die Natur braucht mich nicht. Ich kann etwas Gutes beisteuern, indem ich einen ordentlichen Rebschnitt, eine gute Laubarbeit mache, aber ich habe im Kopf aufgegeben zu gestalten. Das war der Knackpunkt.“ Nicht für die Natur zu denken, sich zurückzunehmen.
An Wochenenden kamen die Freunde zur Lese und Jutta Ambrositsch fuhr die erste Ernte ein – 560 Liter restsüßer Riesling. „In Österreich nahezu unverkäuflich.“ Ein Freund der Winzerin ließ den Wein im „Schwarzen Kameel“ im ersten Bezirk wohnen. So kam ihr Gemischter Satz erstmals an den Kunden. 2005 pachtete sie den zweiten Weingarten. Seitdem ist Terrier Edgar bei ihr. „Ich hatte Angst, total zu vereinsamen. Wenn man so viel Zeit im Weingarten verbringt und nie mit jemandem redet, ist das eine gewaltige Umstellung.“

Wenn sie heute, 13 Jahre und sechs weitere Weingärten später im Mukenthal, auf dem Nussberg und auf dem Reisenberg arbeitet, ist Edgar an ihrer Seite. Ziesel tollen um sie herum, Rehe schauen vorbei. Doch Edgar schnuppert nur. „Er ist mehr der Fragende“, sagt die Winzerin liebevoll und streicht ihm übers Fell. Wieder eine Gemeinsamkeit. Auch Jutta Ambrositsch bleibt neugierig. Sie belegte Kurse an der Weinakademie, doch als Grafikerin sah sie Grüntöne, die nicht verzeichnet waren, roch Dinge, die es laut Unterlagen nicht geben durfte. „Das Regelwerk hat mich eher gebremst.“ keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_right Spielraum für die Kreativität bleibt genug – ihre Weine, Sieveringer Ringelspiel, Satellit, Utopie, Rakete, Fürchtegott und Kosmopolit, haben Liebhaber auf der ganzen Welt gefunden. Dabei sind sie urwienerisch. „Wie die Menschen, so die Weingärten“, sagt Jutta Ambrositsch. „Der 21. Bezirk ist ein bisserl bodenständiger. Der 19. ist kärglich, spitz und steinig. So sind auch die Weine.“ Warum dann der Name Kosmopolit für einen Wein? „Wien ist so multikulti, das spiegelt der Gemischte Satz wider. Und wenn der klassische Wiener einmal links und rechts der Donau alles gesehen hat, ist er schon ein Kosmopolit, mehr braucht man nicht von der Welt zu sehen.“ Rund 70 Prozent ihrer Weine werden exportiert, von New York bis London. Sechs bis zehn Wochen stecken die Winzerin und ihr Mann Marco Kalch­brenner in Grinzing aus. In der „Buschenschank in Residence“ wird der Wein „vor Ort getrunken, wo er ja auch hingehört“. Vier Hektar Weingärten hat die Winzerin nun gepachtet. „Es gibt natürlich sehr viele bequemere Wege, Geld zu verdienen. Es ist verdammt viel Arbeit“, sagt sie noch. Dabei schaut sie so glücklich aus wie Edgar, wenn man ihm das Schuhband überlässt.


Die Natur braucht micht nicht

Jutta Ambrositsch schätzt an Wien, dass sie jeden Tag in der Natur arbeiten kann und trotzdem die Annehmlichkeiten einer Großstadt hat



Wiener Wein: Von den Pionieren

ÜBERBLICK: Rund 630 Hektar Rebfläche misst das Weinbaugebiet Wien. Dass der Wiener Wein heute so gut dasteht, ist ein paar engagierten Winzern zu verdanken.

Die Natur braucht micht nicht

Der letzte Weingarten in der Wiener Innenstadt ist rund 70 Rebstöcke stark. 2018 schritt erstmals Bürgermeister Ludwig zur Lese am Schwarzenbergplatz. Betreut werden die Reben vom Weingut „Mayer am Pfarrplatz“. Und dahinter steckt einer der Pioniere des Wiener Weins, der ehemalige Werbe-Guru Hans Schmid. 2001 erwarb er mit dem „Roten Haus“ am Nussberg auch 1,7 Hektar Weingarten. Er überzeugte Winzer Hans Mayer, sich seines Weins anzunehmen, und kaufte dessen Heurigen und das Weingut mit 25 Hektar dazu. Heute ist er mit mehr als 74 Hek­tar Rebfläche der größte Winzer Wiens. Rund 450.000 Flaschen werden jährlich produziert. Seine Rieslinge heimsen eine Auszeichnung nach der anderen ein. Vor rund einem Jahr hat man die Produktion an die Donau verlegt – in eine neue Weinkellerei. Überhaupt war der Zusammenschluss der sechs Weingüter Christ, Cobenzl, Edlmoser, Fuhrgassl-Huber, Mayer am Pfarrplatz und Wieninger (Wien­Wein) eine feine Sache für die Qualität. Auch Fritz Wieninger aus Stammersdorf ist eine Klasse für sich. Rund 20 Jahre ist es her, dass er vier Hektar Weingarten am Nussberg pachtete – heute bewirtschaftet er mehr als 50 Hektar zu beiden Seiten der Donau.

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