Auch in der ersten Akutphase der Coronakrise, als die Voestalpine mit enormen Herausforderungen konfrontiert war, wurde an zwei Stellschrauben nicht gedreht: Weder wurde die Zahl der Ausbildungsplätze reduziert, noch wurde das Budget für Forschungsprojekte gekürzt. Jetzt, wo sich die Lage wieder stark aufgehellt hat, werden die Forschungsausgaben sogar auf eine neue Rekordhöhe angehoben – im laufenden Geschäftsjahr 2021/22 sind dafür 185 Millionen Euro vorgesehen. Vorstandschef Herbert Eibensteiner betont, „dass nur Unternehmen, die mit permanenter Forschungs- und Entwicklungsarbeit am Puls der Zeit bleiben, langfristig im internationalen Wettbewerb bestehen“. An vielen laufenden und neuen Forschungsprojekten wird an steirischen Standorten gearbeitet. Die Palette reicht u. a. von der Dekarbonisierung der Stahlproduktion über neuartige 3D-Druckverfahren, den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Fertigung von Flugzeugkomponenten bis hin zu digitalen Zwillingen für Bahnsysteme.

Am Computer realitätsnah simuliert

Bei der Voestalpine Railway Systems sticht etwa das Projekt „Digitaler Zwilling“ hervor. Da Bahninfrastruktur rund um die Uhr immer stärker beansprucht wird, sei „eine exakte Kenntnis der Wechselwirkungen zwischen Fahrzeug und Fahrweg essenziell“, wird betont. Daher arbeite man mit der Forschungsinitiative Research Cluster Railway Systems an der TU Graz an digitalen Zwillingen des real existierenden Bahn-Gesamtsystems, um Analysen zu beschleunigen und die Erkenntnisse dann rasch für den Echtbetrieb ableiten zu können. Alle beeinflussenden Faktoren können so am Computer realitätsnah simuliert und verändert werden. „Im Betrieb können die Komponenten dann entsprechend auf ihren Zustand überwacht und damit spontan auftretende Systemausfälle vermieden werden.“ Dadurch erhöhe sich die Streckenverfügbarkeit.

Hightech-Lösungen für die Bahninfrastruktur
Hightech-Lösungen für die Bahninfrastruktur © VA

Zukunftsentscheidend ist auch die Forschung an CO2-freier Stahlerzeugung. Mit dem Projekt „greentec steel“ soll bis 2030 durch den schrittweisen Umstieg von Hochöfen auf eine Elektrolichtbogentechnologie eine CO2-Einsparung von rund 30 Prozent in Linz und Donawitz erzielt werden. Bis 2050 wird klimaneutrale Stahlproduktion angestrebt. In Donawitz wird mit dem Projekt „Susteel“ (steht für Sustainable Steelmaking, also nachhaltige Stahlproduktion) auch an der CO2-freien Herstellung von Rohstahl in einem Prozessschritt getüftelt. „In einer Art Lichtbogenofen wird hier künftig durch die Reduktion von Erzen mittels Wasserstoffplasma Stahl ohne Roheisenstufe erzeugt“, wird erklärt. Mit an Bord ist das Metallurgische Kompetenzzentrums K1-MET sowie die Montanuni.

Pulver-Verdüsungsanlage
Pulver-Verdüsungsanlage © (c) Klaus Morgenstern

Ein nach eigenen Angaben „bahnbrechendes“ Verfahren kommt im 3D-Druck von metallischen Bauteilen zum Einsatz – sieben Fertigungszentren werden mittlerweile betrieben. Eine Besonderheit sind dabei metallische Pulver, die in Kapfenberg entwickelt und in einer eigenen Verdüsungsanlage hergestellt werden, die Material-Eigenschaften lassen sich je nach Bedarf flexibel anpassen. Zuletzt wurde das Pulver-Sortiment um den Hochleistungswerkstoff Titan erweitert, neue Anlage inklusive.

Chemisches Labor in Kapfenberg
Chemisches Labor in Kapfenberg © (c) Klaus Morgenstern

Eine zentrale Rolle bei den Forschungsaktivitäten von Voestalpine Böhler Edelstahl in Kapfenberg spielt auch ein neues chemisches Labor, wo maximal belastbare Speziallegierungen vom flüssigen Zustand bis zum umgeformten und final bearbeiteten Produkt mehrfach chemischen Prüfungen unterzogen werden. Pro Jahr werden dort 190.000 Proben analysiert.