Gute Innovation hat keine Angst vor Regulierung, aber sie hat Angst vor veralteten Vorschriften. Die Zukunft darf nicht mit Methoden von gestern reguliert werden.“ Dieser Befund von Jack Ma, dem Gründer des chinesischen Online-Riesen Alibaba, klingt in unseren Ohren erst einmal wenig kontroversiell oder gar aufrührerisch. Das chinesische Regime vernahm das ganz anders. So markiert diese Aussage vom 24. Oktober des Vorjahres für viele Beobachter eine Zäsur. Anfang November sollte die Ant Group, der starke Finanzarm von Alibaba, an die Börse gehen. Sollte. Denn der größte Börsengang aller Zeiten, mit erwarteten Erlösen von fast 30 Milliarden Euro, platzte im letzten Abdruck spektakulär.

Am 3. November wurde Milliardär Ma mit anderen Führungskräften von der chinesischen Zentralbank und Aufsichtsbehörden vorgeladen und kurz darauf stand fest, dass der Rekordbörsengang ins Wasser fällt. Die Begründung fiel knapp aus: Das „aufsichtsrechtliche Umfeld“ habe sich geändert. Jack Ma taucht seither kaum noch in der Öffentlichkeit auf. Die Geschehnisse wirken bis heute nach und waren letztlich nur so etwas wie die Ouvertüre. Denn die Kommunistische Partei Chinas zieht mit immer neuen Regulierungen die Daumenschrauben, insbesondere bei den wachstumsstarken privaten Tech-Konzernen, sukzessive an. Es kam zu zahlreichen Razzien.

„Regulierungscrash“

Die oberste Wettbewerbsbehörde SAMR und die staatliche Behörde für Marktregulierung haben bereits Mitte August einen Verordnungsentwurf veröffentlicht. Der Entwurf sowie bereits vollzogene Einschränkungen haben es in sich. Die Behörden wollen gegen unfairen Wettbewerb, aber auch unkontrollierte Datenverarbeitung vorgehen. Marktmissbrauch und Verstöße gegen Konsumentenrechte sollen streng geahndet werden. Beschränkungen gibt es etwa für Internet-Banken, Online-Händler, die Social-Media- und Computerspiele-Branche, für Fahrdienstvermittler, Nachhilfeinstitute, Kryptowährungen oder mittels Mietpreisbremsen auch am Immobilienmarkt. An Chinas Börsen wurden zudem mehr als 40 geplante Börsengänge gestoppt, gleichzeitig kommt es da und dort zu Staatsbeteiligungen.  Das hat zwischenzeitlich auch für gehörige Kurskapriolen an den Börsen gesorgt, es war sogar von einem „Regulierungscrash“ die Rede.

„Umverteilung nach unten“

Verzahnt werden diese Beschränkungen und staatlichen Eingriffe mit dem Ziel einer „Umverteilung nach unten“ sowie gesellschaftlichen „Korrekturen“. Der staatliche, von Präsident Xi Jinping geprägte Überbegriff dafür: „Gemeinsamer Wohlstand“.
Dabei sind insbesondere die Superreichen des Landes ins Visier geraten – darunter auch Jack Ma, der lange als zweitreichster Chinese galt. Die Zahl der Milliardäre ist 2020 – trotz Corona-Pandemie – rasant gewachsen. In der Volksrepublik (inklusive Hongkong) kamen laut „Hurun Report“ im Vorjahr 253 neue Milliardäre hinzu, die Zahl kletterte somit auf 922, womit China mittlerweile weit vor den USA (696) liegt. Doch viele dieser Vermögen sind zuletzt aufgrund der eingebrochenen Börsenkurse dahingeschmolzen. Bereits seit Monaten fällt auch auf, dass chinesische Tech-Milliardäre riesige Summen an diverse staatliche Wohltätigkeitsstiftungen, etwa zur Bekämpfung der ländlichen Armut, spenden. In die Kategorie „Freiwillige Spende“ fallen sie freilich nicht wirklich. Dass an Reichen Exempel statuiert werden, passe ins Bild. „Sie haben es in den letzten Jahren teilweise auch maßlos übertrieben und sich ihre eigene kleine Welt geschaffen“, sagt der Ökonom Friedrich Schneider. In den vergangenen Jahren hat sich eine enorme Einkommenskluft in China manifestiert, „die für viele nicht mehr zu verstehen ist“.

„Innovationskiller“

Doch wo liegen die Hintergründe für diese Kehrtwende, die Chinas Wirtschaft da vollzieht? Aus Sicht der Partei soll das chinesische Gegenmodell zur Marktwirtschaft westlicher Prägung perfektioniert werden. Schneider erachtet Hintergründe des Umbruchs vielmehr darin, dass die Kommunistische Partei „über jedes Wirtschaftsprinzip gestellt“ werde. Das habe auch mit Macht- und Kontrollerhalt zu tun. Denn „private Internetkonzerne, die ungezügelt wirken, können für das Machtgefüge eine Gefahr darstellen“, sagt Schneider. Er verweist hier aber auch auf die USA und Europa, wo die Macht und Dominanz einzelner Tech-Giganten ebenfalls verstärkt ins Visier von Behörden gerät.

Aus Sicht von Schneider sei für China mit der neuen Wirtschaftsordnung „ein Dilemma verbunden“. Mit dem Umbau gehe die Gefahr einher, dass chinesische Firmen bei Effizienz und Produktivität zurückfallen, die Eingriffe könnten zu einem „Innovationskiller“ werden. Die Unberechenbarkeit könnte auch dazu führen, dass China für ausländische Investoren uninteressanter wird. Blende der angestrebte „Staatskapitalismus“ die globale Wettbewerbsfähigkeit aus, könnte die Rückwärtsbewegung ineffiziente Staatskonzerne heranzüchten.