Der Taktstock ist wieder ein virtueller. Wenn die besonders bedeutende Computerspielmesse „Gamescom“ heute, Mittwoch, Abend die Tore öffnet, werden ihr weltweit Spielebegeisterte ausschließlich via Livestream folgen. Wie auch schon 2020 verzichten die Veranstalter auf eine „reale“ Präsenz.

Vor allem für kleine Studios, in der Branche "Indies" genannt, sei so eine Spielemesse besonders wichtig, sagt Mateusz Gorecki, Mitgründer von Rarebyte, das 2006 in Kärnten gegründet wurde. Dass die Gamescom heuer nur virtuell stattfindet, mache sie für den Spieleentwickler weniger interessant. "Es ist ein soziales Event, das macht auch den Charme aus." Außerdem würden viele Studios digital nur Trailer oder kleine Demos anbieten. Die Möglichkeit ein Spiel real auszuprobieren fehle.

Sichtbarkeit fehlt den "Kleinen"

Auch der Marketing-Aspekt so einer Messe dürfe nicht unterschätzt werden, sagt Gorecki: "Wenn man in der Indie-Booth ausstellt, generiert das bei den Spielern eine Sichtbarkeit, die man sonst nicht so leicht bekommt." Wie wichtig das ist, zeige ein Blick auf die Veröffentlichungen bei der Spieleplattform Steam. Rund 200 Titel kommen hier täglich dazu. "Wer hier herausstechen will, muss viel in Marketing investieren." Für Indie-Studios bedeutet das, sich nicht nur auf die Entwicklung eigener Spiele zu konzentrieren. "Viele arbeiten als Auftrag an Spielen der großen Publisher mit." Deshalb sei die Szene in Österreich auch durchaus sehr lebendig.

"Die arrivierten Firmen in Österreich stehen jedenfalls gut da", sagt auch  Martin Filipp vom Verband "Pioneers". Die großen Studios im Land hätten jüngst "einige neue Projekte mit längeren Entwicklungszeiten" an Land gezogen. Wie erfolgreich man mit solchen Aufträgen sein kann, zeigt etwa das Grazer Unternehmen Bongfish, das mit 80 Mitarbeitern inzwischen der größte heimische Spieleentwickler ist. Aufsehen erregte das Unternehmen nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit Microsoft beim Flight Simulator 2020. Messen wie die Gamescom seien für das Unternehmen aber eher zweitrangig, sagt Geschäftsführer Christian Stocker.

Entwickler Martin Filipp
Entwickler Martin Filipp © Juergen Fuchs

Österreich sei durchaus ein gutes Pflaster für kleine Spieleentwickler, erklärt Stocker. Knapp 90 Studios gibt es hierzulande, binnen drei Jahren entwickelten diese um die 200 Spiele. Heimischer Fußabdruck findet sich bei vielen Spieleklassikern á la „Die Siedler“, „Sea of Thieves“, „World of Tanks“ oder eben Microsofts Flugsimulator.

"Wer auf den Hit hinarbeitet, ist schnell weg"

"Es ist lustig in der Spielebranche zu arbeiten. Deshalb finden wir auch Mitarbeiter", sagt Christian Stocker. Für richtig große, sogenannte "AAA-Spiele" würden in Österreich aber die Strukturen fehlen. "Wenn man ein echtes Talent aus den USA nach Österreich holen will, ist das mit der Rot-Weiß-Rot-Karte sehr schwierig." Martin Filipp schlägt in dieselbe Kerbe: "Die Rahmenbedingungen sind in Österreich im Vergleich mit anderen Ländern noch immer traurig". Es würde in Summe "zu wenige Anreize" geben, um wirkliche große Studios anzulocken.

Dennoch hält etwa Christian Stocker es nicht für unmöglich, dass auch ein richtig populäres Spiel irgendwann wieder aus Österreich kommt. "Cities: Skyline wurde von einer kleinen Gruppe Programmierer aus Finnland entwickelt und hat einen neuen Standard bei Städtesimulationen gesetzt." Auch Rarebyte-Mitgründer Gorecki  sagt, dass jeder Entwickler vom großen Wurf träumt. Aber: "Wer nur auf den Riesen-Hit hinarbeitet, ist schnell wieder weg."

Markt wächst zum Jahresbeginn um 22 Prozent

"Die neue Realität" dient in diesem Jahr jedenfalls als Gamescom-Motto. Klar ist: Für die Spieleindustrie selbst ist diese neue, von der Coronakrise geprägte, Realität eine wirtschaftlich hoch erfolgreiche. Insbesondere Lockdown-Perioden forcierten die Nachfrage – und nach rasantem Wachstum im Jahr 2020 konnte die Spieleindustrie heuer bei den Verkäufen von Hard- und Software noch einmal zulegen.

Alleine in Deutschland wuchs der Markt für Videospiele in den ersten sechs Monaten im Jahresvergleich noch einmal um 22 Prozent auf 4,6 Milliarden Euro. Jeder Zweite im Land spielt zumindest hin und wieder, den größten relativen Zuwachs finden Beobachter bei der Gruppe der Über-65-Jährigen. Für Österreich gibt es keine brandaktuellen Zahlen, die Tendenz aber scheint jener in Deutschland nicht unähnlich.

Empfehlung der WHO als Beschleuniger

Auf Spielerseite seien im vergangenen Boom-Jahr indes vermehrt "nicht traditionelle Gamer" angesprochen worden, lässt die Informatikerin und TU-Graz-Forscherin Johanna Pirker wissen. Dazu hätte nicht zuletzt die Weltgesundheitsorganisation WHO beigetragen, die unter dem Motto "Spielt zusammen, auch wenn ihr voneinander getrennt seid" Videospiele erstmals explizit empfahl.

Forscherin Johanna Pirker
Forscherin Johanna Pirker © Rauch

Auch Pirker erzählt, dass Spiele mit sozialer Komponente zurzeit besonders stark nachgefragt seien. "Among us" etwa, wo sich bis zu 15 Online-Spieler in einem Raumschiff treffen können. Corona-Profiteur ist auch die von Nintendo gebaute Echtzeit-Fabelwelt „Animal Crossing“. Weiters begehrt: Retro-Games. Pirker: "Man braucht in Krisenzeiten eine Form von Stabilität."

Wohin sich die Branche entwickelt? "Hardware spielt eine immer geringere Rolle", sagt Martin Filipp vom Branchenverband Pioneers. Mehr Gewicht bekommen indes Streaming-Dienste, oftmals mit Abo-Bezahlmodell dahinter. So "verschenkt" Microsoft in ersten Testmärkten bereits Xbox-Geräte, um im selben Atemzug User fix ans hauseigene Spiele-Abo zu binden.