Eigentlich sind Smartphones zu klein, um darüber zu stolpern. Trotzdem lassen sie einen schnell straucheln, wie die jüngere österreichische Geschichte eindrucksvoll unter Beweis stellt. Mächtige Beamte, hochrangige Manager, honorige Verfassungsrichter, allesamt tendenziell Menschen mit großem Gespür für Transformationen, fielen just einer solchen beruflich zum Opfer.

Dabei gilt es erst einmal festzuhalten: Nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Kommunikation fand auch früher statt und wurde auch früher publik. Aber die Methoden waren andere. Lugte im Wien des 19. Jahrhunderts noch Zahlkellner „Schorsch“ im Café Griensteidl als Polizeispitzel auf jene Gäste, die regelmäßig zur „Times“ griffen, sitzt heute „Der Spion in meiner Tasche“, wie der Autor Helmut Spudich ein lesenswertes Buch titelte. Tatsächlich ist das Smartphone ein besonders fleißiger und vordergründig unauffälliger Datensammler. Belässt man es bei den vorgegebenen Datenschutzeinstellungen, entstehen detaillierte Interessensprofile der Nutzer. Bei Googles Betriebssystem Android spielen in der Standardvariante zudem erfasste Standortdaten eine große Rolle.

Sensibel und bequem

Dass die anonymisierten Profile so fein gezeichnet und für die Werbeindustrie perfekt aufbereitet werden können, liegt an uns. Als der legendäre Apple-Gründer Steve Jobs am 9. Jänner 2007 das erste iPhone – eigentlich ein kaum funktionierender Prototyp, aber Apple war in Sachen Produktvermarktung schon damals Weltklasse – auf dunkler Bühne ins gleißende Licht der Öffentlichkeit hob, änderte das alles. Und zwar nicht, weil wir heute alle iPhones verwenden. Sondern deswegen, weil es Jobs & Co. gelang, das Smartphone als Gattung zu etablieren. „Drei revolutionäre Produkte“ werde man vorstellen, rief Jobs in schlichten schwarzen Pulli gehüllt dem Publikum zu: „Einen iPod, ein revolutionäres Mobiltelefon und ein bahnbrechendes Internet-Kommunikationsgerät.“ Die Pointe war, dass Apple in Wahrheit nur ein Produkt vorstellte, nämlich das iPhone, das alle drei Technologien zusammenführte.

In den vergangenen Jahren wurde das Smartphone auch zum Fotoapparat, zum Fernseher, zum Steuergerät für Jalousien, zum Aufzeichner von Schlafphasen und zu jenem Gerät, auf dem wir via Suchmaschine sämtliche Antworten auf all unsere Fragen aufspüren.
„Das Smartphone ist zum sensibelsten Gerät schlechthin geworden“, fasst Ingrid Brodnig, Digital-Spezialistin und Autorin vieler Sachbücher, zusammen. Gleichzeitig sei es, ein weitreichendes Zusammenspiel, der „bequemste Tagesbegleiter“. Besser verfügbar als die besten Freunde und, ein besonders heikler Punkt, im Empfinden vieler vermutlich auch vertrauenswürdiger als diese. Tief in unserem Inneren verankert, schreiben wir Technik den Nimbus des Neutralen, des Sachlichen zu. Sie ist weder Freund noch Feind, sondern Dienstleister. Meist ein Ding, das Dienste leistet, um präzise zu sein. Jedenfalls aber niemand, der böse Gedanken hegt. Während durch die Wahrnehmung vieler Internetgiganten und ihrer steuerschonenden Geschäftspraktiken die Neutralität der Technologie bröckelt, wirkt der Klebstoff, der uns ans Smartphone bindet, kurioserweise immer besser.

Spielautomaten und Smartphones

Knapp vier Stunden schauen wir Tag für Tag auf den Bildschirm, mehr als 80-mal holen wir das Smartphone in dieser Zeitspanne durchschnittlich aus dem Tiefschlaf. Die US-Anthropologin Natasha Schüll zieht ob der obsessiven Nutzung gerne Vergleiche zum Glücksspiel. Dort sei früh die „Time on Device“, die Zeit am Gerät, für die Industrie entscheidend gewesen. Deren These: Je länger die Spielenden am Automaten hängen, desto mehr Geld verlieren sie. „Spielautomaten und Smartphones löschen quasi die Leute um einen herum und die soziale Welt. Man ist fokussiert auf sich und den kleinen Bildschirm“, beschreibt Schüll Vereinzelung als Antriebsfeder. Einfache Belohnungsmöglichkeiten („Likes“ in primär mit Smartphones bedienten sozialen Netzwerken), enorme Geschwindigkeit und ein fehlendes Ende vertiefen die Beziehung.

Ein Ausläufer dessen: Gemeinsam mit dem Internet brachten die modernen Handys ein großes, zusätzliches Maß an verschriftlichter Kommunikation. In erster Linie, weil wir „En-Passant-Kommunikation“ (Ingrid Brodnig) aus dem direkten, persönlichen Gespräch in den Smartphone-Chat verfrachten. Dort findet sich heute deswegen eine schier unendliche Anzahl an kurzen, lustigen, bösen, kommentierenden Bemerkungen zu allen möglichen Themen.

Neue Qualität der Dokumentierbarkeit

Quantitative Grenzen gibt es kaum noch. Gespeichert werden Daten, egal, ob in Form von Bildern oder Textnachrichten, nur mehr bedingt am Gerät selbst, vieles wird an gigantische Serverfarmen, die „Cloud“, ausgelagert. Was einerseits volle SMS-Speicher – ein Relikt aus Handyzeiten, die von Alcatels knallorangem One Touch Easy geprägt waren – verhindert, gleichzeitig aber Gedankenlosigkeit forciert und für eine völlig neue Qualität der möglichen Dokumentierbarkeit sorgt. Was zum Verhängnis werden kann. Nicht erst, wie die nun konfiszierten Handys zeigen, weil manches de facto unlöschbar ist. Einmal getippt, kaum mehr gekippt. Selbst ein auf Werkseinstellung zurückgesetztes Gerät wie jenes des nun gegangenen Öbag-Chefs kann sich rasch der Schweigepflicht entziehen.

Löst sich indes der Nutzer selbst von den zuvor beschriebenen Abhängigkeiten der Smartphones, bietet die Technologie riesige Chancen. Nicht erst die Coronakrise machte die nützliche Komponente, die Gestaltungskraft, offensichtlich.

Datenschutz als Verkaufsschlager

Die 3-G-Regelung wäre ohne Handy zahnlos, Überweisungen erledigen wir schnell und sicher per QR-Code, das digitale Amt gewinnt zunehmend an Geschwindigkeit und Verlässlichkeit. Auch das Thema Datenschutz legt an Bedeutung zu. Immer mehr Taktgeber entdecken, dass es mancherorts gar zum Verkaufsschlager taugt. Google kündigte jüngst neue Datenschutzfunktionen an und Apple baut überhaupt schon länger die Marke zentral um das Thema „Privacy“. Seit geraumer Zeit und mit garstigem Blick auf manche Konkurrenten geißelt Apple-Boss Tim Cook den „datenindustriellen Komplex“, 2016 verweigerte der Konzern medienwirksam dem FBI die Hilfe, als der Geheimdienst Apples Unterstützung beim Entsperren des iPhones eines Attentäters einforderte.

Aus Sicht der notwendig kritischen Nutzer sollte am Ende das ermunternde Wissen stehen, dass wir trotz aller Datenerfassung nicht alle gläsern sind. Aber man kann es sehr schnell werden. Etwa, wenn man inmitten einer Ermittlung oder eines U-Ausschusses steht.
Ein Gedanke zum Schluss: „Net Positive“ subsumiert im Englischen komplexes Abwiegen von Vor- und Nachteilen mit in Summe gutem Ausgang. Vielleicht werden wir so später einmal die Technologie Smartphone bewerten. Ob das der Fall sein wird, liegt in erster Linie an unserem Umgang damit.