Mit 33 Jahren hat Christina Roth genug erreicht, um damit zwei Karrieren auszufüllen. „Ich habe den Job geliebt und gut verdient“, sagt die Gnaserin über die Zeit bei Red Bull. Nach zwei Masterabschlüssen von Wirtschaftsstudien in Barcelona und Graz war sie dort sechs Jahre Projektmanagerin. Daneben entdeckte sie aber ihre wahre Liebe.

2018 warf sie den Job hin, der ihr wohl noch weitere Karrieresprünge beschert hätte, und begann im selben Jahr als einzige in Österreich eine Lehre zur  Ledergalanteriewarenherstellerin – vulgo Taschnerin oder Sattlerin.

Der Wendepunkt

Allein der Weg zu diesem Entschluss ist eine Geschichte für sich. Begonnen hat es mit dem Kauf einer handgefertigten Handtasche, die im Freundeskreis für Aufsehen sorgte. "Ich bin kein Typ für Marken und habe sehr genaue Vorstellungen. In Wien fand ich jemanden, der die Tasche genau so herstellte, wie ich das wollte", schildert Roth.

© CR Ledermanufaktur

Den Wendepunkt stellte aber der Besuch der Werkstatt des Lederhandwerkers Mark Kainberger in Salzburg dar. „Als ich dort eintrat, fühlte es sich an wie Liebe auf den ersten Blick.“

Immer wieder ging Christina Roth in die Werkstatt und schaute dem Mann bei der Arbeit zu. Und eines Tages ging sie in den Baumarkt, kaufte Kleber und Werkzeug. „Ich dachte, das kann so schwer nicht sein.“ Ein Irrtum freilich. "Meine ersten Werkstücke - einige liegen noch in meiner Werkstatt - schauten fürchterlich aus." Aber kein Grund, aufzuhören. Im Gegenteil.

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In die neue Leidenschaft, zunächst ein Hobby, flossen immer mehr Geld und Zeit. Im Mai 2016 flog Roth nach Japan zu Tsuyoshi Yamashita, dem bekanntesten Ledermeister seines Landes. Wer von ihm eine Tasche anfertigen lassen will, benötigt fünf Jahre Geduld. Roth durfte drei Wochen bei ihm lernen (und ihn dafür bezahlen). „Tagelang zeigte er mir, wie man Messer richtig schleift. Ich bekam Muskelkater davon.“

Am Scheideweg

Bis zum Entschluss, den Beruf zu wechseln, ließ sich Roth dann etwas Zeit. Denn einen spannenden Job bei Red Bull aufzugeben, war die eine Sache. Die andere, trotz einer bereits hochwertigen Ausbildung noch einmal ganz von vorne zu beginnen. „Ich zögerte, weil ich wusste, dass ich in die Berufsschule muss. Aber ich musste mich entscheiden und letzten Endes fand ich, dass ich in diesem seltenen Handwerk mehr bewirken kann als als Managerin in einem Konzern.“

In der Lehrzeit „zapfte ich das Wissen von Konrad Pölzer an, ein Meister seines Faches“. Der Grazer ist der letzte Feinsattler der Steiermark und seit 1974 mit seiner Werkstatt in der Salzamtsgasse beheimatet.

2019 schloss Roth die Lehre ab, Anfang 2020 richtete sie ihre eigene Werkstatt in der Salzburger Getreidegasse ein – in einem 500 Jahre alten Haus ohne Heizung, dafür mit einem Holzboden, der unter Denkmalschutz steht. „Ich entschied mich für diesen Standort, weil er gut zu unserem traditionellen Beruf passt.“

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Im ersten Stock gelegen, hat Roth wohl ein Schild am Haus, aber kein Schaufenster. Das ersetzt sie durch ihr Handy. Von täglichen zehn Stunden Arbeit (und einigen an den Wochenenden) verbringt die 33-Jährige zwei bis drei Stunden mit Social Media. Auf Instagram folgen mehr als 11.000 Abonnenten ihren Kurzvideos aus ihrer Werkstatt, „mehr Lederhandwerker aus allen Teilen der Welt als Kunden“, erklärt Roth.

Arbeit wie vor 100 Jahren

Das ist nicht nur Marketing in eigener Sache (Firmen bieten Roth mittlerweile ihre Produkte und Rohstoffe wie Leder, Kleber und Werkzeuge für ihre Arbeit an). "Ich gebe damit der Tradition eine Wertigkeit und helfe so vielleicht auch anderen Handwerkssparten. Die Leute sehen, wieviel Arbeit in einem Werkstück steckt und warum etwas Handgemachtes einen Preis hat."

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Roths Arbeitsweise ist traditionell, "ich verwende kein anderes Werkzeug wie vor 100 Jahren". Wer zu ihr in die Werkstatt kommt und zum Beispiel einen Gürtel, eine Geldbörse, ein Etui oder eine Tasche maßanfertigen lassen will, sollte etwas Zeit einplanen. "Es ist nötig, im Detail zu besprechen, wie das Produkt am Ende aussehen soll." Und etwas Geduld, denn bis zur Fertigstellung dauert es zwischen mehreren Wochen und einem halben Jahr. Auch jetzt, da die Auftragslage durch Corona naturgemäß etwas schwächer ist.

Die Beiträge auf Social Media inspirieren nicht nur potenzielle Kunden, sondern auch den Fachkräftenachwuchs. Heuer fragten bereits sieben Jugendliche an, ob sie bei der Steirerin in die Lehre gehen können.

Roth plant dies fix: "Unser Beruf stirbt nicht aus." Doch zuerst muss sie im Dezember die Ausbilderprüfung absolvieren. Das nächste gesteckte Ziel ist dann die Meisterprüfung. Und eines Tages eine Werkstatt in der Steiermark.

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