Wie arbeitet der Weltkonzern IBM unter Coronakrise-Bedingungen?
PATRICIA NEUMANN: Von unseren weltweit über 350.000 Mitarbeitern sind 95 Prozent im Homeoffice. Den Unternehmen bei allen Herausforderungen der digitalen Infrastruktur beizustehen, gelang remote sehr gut. Die „IBM Think 2020“-Konferenz hielten wir statt in San Francisco im Netz ab – mit 90.000 Teilnehmern. Auch in Österreich ist die Krise ein Beschleuniger für die Digitalisierung von den Lieferketten im Export bis zu Homeoffice und Schulen. IBM setzt dabei auf Hybrid Cloud für immer mehr anfallende Daten, sowie Anwendungen mit künstlicher Intelligenz. Auch Cyber Security spielt eine große Rolle. Die IBM X-Force stellte weltweit eine Steigerung von Phishing-Attacken um 14.000 Prozent fest.

Welchen Schub erfährt die Digitalisierung in Österreich?
Starke Impulse für die Infrastruktur für das digitale Österreich. IBM arbeitet eng mit dem Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitsministerium zusammen, der digitale Aktionsplan vom IKT-Konvent wird laufend ergänzt, um die Wirtschaft wieder nachhaltig zum Erstarken zu bringen.

Wie bewerten Sie das Corona-Krisenmanagement von Bundeskanzler Sebastian Kurz und der Bundesregierung vom Lockdown bis zur Lockerung?
Österreich hat sehr früh und sehr gut reagiert, man hat von Italien als Nachbar gelernt und war schneller als Deutschland. Die frühe Phase der Entscheidungen war transparent und gut gelungen. Bei den Lockerungen muss man jetzt aber über Österreich hinausschauen für internationale Abstimmung. Offene Hotels nützen auch nur mit Reisefreiheit und offenen Grenzen, einer offenen Gastronomie ohne Gäste ist nicht geholfen.

Haben Sie die App für Corona Contact Tracing auf Ihrem Handy?
Ich persönlich habe die App noch nicht heruntergeladen. Eine App für diesen Zweck muss zu 100 Prozent auf Freiwilligkeit beruhen. Das ist ein Grundprinzip von IBM: Bei wem Daten entstehen – ob bei einer Person oder bei einem Unternehmen –, dem gehören sie auch. Hinzu kommt die ethische Dimension bei Gesundheitsdaten. Dazu gibt es in Österreich gute Gesetze, die sind einzuhalten. Für eine solche App ist auch internationaler Kontext zu beachten.

Kommen die Corona-Staatshilfen richtig und rasch genug an?
Ich höre dazu von Kunden Unterschiedliches. Es gibt einen gewissen Rückstau bei der Abwicklung in Ballungszentren.

Welchen Digitalisierungsschub nimmt die Schule aus Ihrer Sicht dauerhaft mit?
Es gibt Learnings für einen Kulturwandel und eine hybride Zukunft der Schule. Meine beiden Töchter in der Unterstufe haben den Umgang mit Videokonferenzen in einem Tempo gelernt, das in der Schule nie möglich gewesen wäre. IBM und Cisco haben Lehrer und Schüler mit „Webex for our kids“ beim Homeschooling begleitet. Es wäre ein Fehler, die Vorteile wegzuwerfen.

Der IBM-Konzern, unter neuer Führung von Arvind Krishna, erlitt im ersten Quartal einen Gewinnrückgang um ein Viertel auf 1,1 Milliarden Euro. Wie geht es IBM in Österreich?
IBM verzeichnet in Österreich ein wachsendes Geschäft, sowohl im Jahr 2019 als auch im ersten Quartal 2020. Unsere neuen Geschäftsfelder Hybrid Cloud und künstliche Intelligenz sind extrem stark wachsende Bereiche mit weltweit zweistelligen Wachstumsraten.

Wo liegt Ihr größtes Potenzial?
Edge Computing mit der Verarbeitung der Daten am Ort ihres Entstehens wird an Bedeutung gewinnen. Und der stark reglementierte Bereich der Banken und Versicherungen nutzt die Cloud erst zu zehn Prozent und noch zu 90 Prozent klassische Rechenzentren. Mit dem Erwerb von Red Hat um 34 Milliarden Dollar gab IBM auch das Bekenntnis zu Open Source ab. Im Backoffice kann mit künstlicher Intelligenz an Zeit und Kosten gespart werden.

Wie kehrt IBM zur Normalität zurück?
Unser Return-to-workplace-Plan sieht vorerst einen Zwei-Monats-Rhythmus vor, sodass im Herbst maximal die Hälfte der Mitarbeiter wieder im Office sein wird. Der persönliche Austausch ist nicht zu ersetzen. Man wird aber nicht mehr für jedes Meeting fliegen müssen.