Das größte Kapital im Spitzensport ist der eigene Körper. Ist auf den kein Verlass, ist man meist verlassen im Kampf um Medaillen und Rekorde. Bernadette Graf kann ein Lied davon singen. Die Tirolerin wurde oft von Verletzungen aus der Bahn geworfen. "Ich hatte schon immer Probleme mit meinem Körper", sagt sie mit einem Seufzer und meint damit natürlich die Häufigkeit von Verletzungen. Und eine Abfolge von Ereignissen, die das vergangene Jahr zu alles anderem als einem Spaziergang machten, zu einem Übertauchen der Pandemie.

Die 28-Jährige musste viele Schocks verdauen. Da war das Karriereende von Kathrin Unterwurzacher, Gefährtin seit Kindertagen, seit sie Gefallen am Judo gefunden hatte. Ein Ende, das fast zusammenfiel mit der Absage der Olympischen Spiele in Tokio 2020, oder besser: deren Verschiebung. "Das war ein Schock, auch wenn es sich angebahnt hat. Aber wenn man auf ein Ereignis vier Jahre hintrainiert, dann es ist es zäh vor allem am Anfang." Zur Zähigkeit kam die absehbare Einsamkeit. Im Training, auf dem Weg zu Trainingslagern, die zuvor oft mit Unterwurzacher gemeinsam beschritten wurden. "Es war einfach zäh", sagt Graf, "all das zu wissen. Und zu wissen, dass man noch ein Jahr durchhalten muss. Alleine."

Wieder obenauf: Bernie Graf
Wieder obenauf: Bernie Graf © GEPA pictures

Das Corona-Problem

Doch von Eintönigkeit war keine Rede. Zunächst riss die Bizepssehne der Schulter im Training - ein Monat Pause. Als Graf, die in der Klasse bis 78 Kilogramm kämpft, wieder bereit war, das Training aufzunehmen, kam Corona. "Aber", erklärt Graf, "es war gar nicht so die Krankheit selbst, die mich aufgehalten war." Gut, es waren zehn Tage im Bett mit Fieber, Gliederschmerzen und allem, was dazu gehört. "Es waren die Nachwehen", sagt sie. Und das heißt: "Ich hatte bei Hochbelastung Atemprobleme. Die Lunge schien in Ordnung, aber die nötige Ausdauer hat gefehlt."

Das einzige Heilmittel: abermals Pause. Und der Kampf mit der Motivation, mit der mentalen Hürde Covid-19. "Das war viel anstrengender als jede Verletzung. Es war deprimierend zu sehen: Ich will, aber der Körper lässt mich nicht." Es war ein Kampf, auch gegen die Ungeduld, getragen von einem Ziel: Olympia. "Ich habe mich entschieden, darauf hinzutrainieren. Und da wollte ich mich nicht aufhalten lassen. Ich hatte schon viele Verletzungen und ich wusste: Ich kann stärker zurückkommen als davor."

Graf kam zurück, sie trainierte wieder, zunächst ohne Gegner; im Kampfsport nicht ideal. "Wir haben Wurfpuppen. Und Seilzüge", beeilt sie sich zu sagen. Was es nicht gab: die geplante Reise nach Japan, die Judo-Hochburg. Was es dafür dann wieder gab: die nächste Verletzung. Diesmal das Knie, Ende Dezember. Statt Vorbereitung gab es wieder Pause bis März, erst dann kam der Wiedereinstieg bei einem Grand Slam.

Und dann kam die EM. Und der Wunsch, es allen zu zeigen. "Man macht sich selber Druck, man hat ja über ein Jahr nichts geliefert. Man will dem Verein, den Sponsoren, also allen zeigen, dass man es drauf hat." Am Wettkampftag, da kommt das Adrenalin zurück in die Adern, "da ist man im Moment", sagt Graf. Der Tunnel hielt an, Kampf für Kampf  - am Ende gab es die Bronzemedaille. Und die Gewissheit: Es geht noch.

Die Polizei-Schülerin hat dank der Medaille frischen Mut getankt. Für Olympia in Tokio. Dort will sie dann genauso an die Matte gehen wie bei der EM in Lissabon: "Mit dem Ziel, eine Medaille zu machen." Denn das wäre, noch dazu im Mutterland des Judo, noch ein bisschen mehr. "In Rio war ich Fünfte, seither arbeite ich fünf Jahre daran, dass der Traum von Olympia-Edelmetall doch noch wahr wird. Erfüllt er sich, hätte sich auch mein Lebensziel erfüllt."