Sie respektieren einander. Damit hat es sich aber schon, Respekt als Höchstmaß gegenseitiger Zuneigung. Als Rennfahrer sollte man ein grauslicher Egoist sein, wie Niki Lauda immer behauptet hat, um in einem Sport wie der Formel 1 auch nur einen Meter weiterzukommen, von einem Weltmeistertitel gar nicht zu reden. Niki Lauda und Helmut Marko haben sich in den 70er-Jahren um das Erbe von Jochen Rindt gestritten. Auf der Rennstrecke sind sie sich ja wenig begegnet, weil Marko immer einen Schritt weiter war, schon ausgestattet mit einem Ferrari-Vorvertrag, ehe ein aufgewirbelter Stein ihm Auge und die Karriere gekostet hat. Später, als der Grazer Doktor die graue Eminenz im Red-Bull-Stall war, Lauda Aufsichtsratschef des Mercedes-Formel-1-Teams, haben beide wenigstens hin und wieder gemeinsam gefrühstückt, sind hin und wieder gemeinsam zu den Rennen geflogen. Aber sie hätten beide keinen Genierer gehabt, eine Koryphäe vom anderen Team abzuwerben.

So ticken die Schlüsselfiguren in der Formel-1-Manege, das war immer schon, das wird immer so sein. Weil in der Formel 1 ehrgeizige Menschen einen Job machen, der einzig und allein auf Erfolg ausgerichtet ist. Verantwortung haben sie nur sich selbst gegenüber, vielleicht noch den Sponsoren, dem Team, dem Geldgeber. Das gilt aber auch erst seit den 70er-Jahren, als branchenfremde Unternehmen die Formel 1 als Werbe- und Imageträger entdeckt haben. Die Familie kommt auch irgendwann, aber nur, wenn alle mitspielen.

Laudas Duelle

Das Duell Lauda-Hunt war etwas komplexer als pure Ablehnung dem Gegner gegenüber. Lauda, selbst nur auf das eine Ziel fokussiert, lebte auch danach, sein Umfeld war dem Gewinnen-um-jeden-Preis untergeordnet. Hunt, selbst als Profi unter Marlboro-McLaren-Fittichen, kannte neben der Rennerei nur drei Dinge: Sex, Drugs and Rock 'n' Roll. Er starb mit 46. Aber Lauda hat ihn ob seines locker-liederlichen Lebensstils nicht gerade bewundert, aber vielleicht etwas mehr respektiert als andere.

Es folgten die Duelle Lauda gegen Prost. 1984, in der zweiten Karriere unseres „Niki nazionale“. Beide gewinnen zwölf von 16 Rennen im McLaren. Lauda wurde Champion mit einem halben Punkt Vorsprung. Legendär die Fehde zwischen Alain Prost und Ayrton Senna. Zuerst fuhren beide für McLaren. Was sie nicht daran hinderte, sich gegenseitig ins Auto zu fahren. Die Flegeleien gingen weiter, als sie für unterschiedliche Teams fuhren.

Kritik an Schumacher

Und dann trat ein gewisser Michael Schumacher auf die Bühne. Als Rennfahrer brillant, an Egoismus kaum zu überbieten. Er rammte, wenn es sein musste, Gegner wie einen Damon Hill (1994) oder einen Jacques Villeneuve (1997) von der Piste. Immer mit kalkulierten Risiko. Kritik musste er dafür genug einstecken. Es änderte sich nichts. Er war zweifellos einer der besten Piloten aller Zeiten, mit seinem deutschen Denken hat er sich sogar mit dem lateinischen Temperament Ferraris verbinden können und so eine ganze Mannschaft zum loyalen Arbeiten animiert. Michael Schumacher schrieb Rekordmarken in die Geschichtsbücher, die für die Ewigkeit gelten sollten. So dachte man. Bis Lewis Hamilton auftauchte. An ihm scheiterte Felipe Massa (2008), er arbeitete in einer Mercedes-Teamrivalität, bekannt als „Krieg der Sterne“, Nico Rosberg derart auf, dass der Deutsche nach dem Gewinn seines WM-Titels (2016) den Rücktritt vom GP-Sport bekannt gab. Auch Sebastian Vettel, viermal Weltmeister mit Red Bull, scheiterte mit Ferrari an Lewis Hamilton. Mit Vettel gab es keine zweite italienisch-deutsche Heldensaga.

Heuer liegt es an Max Verstappen, das Denkmal Hamilton etwas vom Thron zu stoßen. Beflügeln braucht man beide nicht. Obwohl man sich gerade heuer nicht dem Eindruck erwehren kann, dass die Führungskräfte in den Mannschaften ordentlich Druck erzeugen. Dass selbst ein Gentleman wie Toto Wolff hin und wieder die Contenance verliert, hat Seltenheitswert. Klar, ein Wolff oder ein Christian Horner, Red-Bull-Teamchef, mischen sich nicht mehr so offensichtlich ins Renngeschehen ein, wie einst ein Jean Todt bei Ferrari, der einen Platztausch einfach via Boxenfunk befahl.

Spannung vor Finale

Heute geht das etwas diffiziler, weil alles schon zuvor klar ist. Ein Perez hat Verstappen zu weichen, ein Bottas Hamilton. Und die Protagonisten auf WM-Kurs werden sich in den letzten drei Rennen auf arabischem Boden nichts schenken. Die Pikanterie im Finale ist, dass nichts vorhersehbar ist. Nach den Siegen von Verstappen in Austin und Mexiko wurde der Niederländer schon nach seiner Lieblingsstartnummer für 2022 gefragt. Er wollte im Fall der Fälle die 1, die einem Weltmeister grundsätzlich gehört, aber in letzter Zeit oft abgelehnt wurde.

Es folgte São Paulo vor einer Woche, die irrwitzige Aufholjagd von Lewis Hamilton, der summa summarum im Sprint- und Hauptrennen 24 (!) Plätze gut gemacht hat. Sein 101. Grand-Prix-Sieg, ein Meisterstück, lässt Max Verstappen etwas ratlos zurück. Das Momentum liegt bei Hamilton, nur eine Überhöhung der eigenen Leistungsfähigkeit wird zum Titel führen. Die Medienlandschaft überschlägt sich in Superlativen. „Göttlicher Hamilton, ein wiederauferstandener Senna“, schrieb der „Corriere dello Sport“. In São Paulo hat Hamilton schon einmal die brasilianische Flagge ausgerollt, in den Rennen darauf das Titelrennen spannender gemacht als selten zuvor.