Pro

Wir schaffen das! Niemals standen die Sterne
günstiger, um erstmals den Aufstieg ins EM-Achtelfinale zu schaffen. Das Team ist eingespielt, es hat Kalajdzic und die Hinti-Army – und da wäre noch eine Kleinigkeit.
Egyd Gstättner

Franco Foda hat mir tausend Mal gesagt, der wahre Teamchef sei ich. Deshalb zeige ich es auch. Na alsdann, liebe Österreicherinnen und -reicher: Niemals standen die Sterne günstiger! Das Team hält sich diesmal die meiste Zeit des Euro-Turniers zu Hause in Österreich, in Tirol, auf und reist nur zu den Spielen mit dem Flugzeug an: So fällt das lästige Akklimatisieren weg, wir spielen quasi eine Heim-Euro!

Unsere Gegner? Nordmazedonien haben wir zweimal besiegt: Die werden vor uns zittern! Gegen die Ukraine und die Holländer haben wir seit Menschengedenken nicht mehr gewonnen: Die werden uns unterschätzen! Das „Momentum“ spricht klar für uns!

Und wir selbst? Wir haben ein eingespieltes Team, eine verschworene Gemeinschaft. Alle sind in Top-Ligen engagiert, außer natürlich die Österreichösterreicher. Wir sind sehr variabel und flexibel, wir können Raute, Rhombus, Deltoid und Parallelogramm spielen. Mühelos können wir von Dreierkette auf Viererkette umstellen. Das gilt allerdings zugegeben für alle anderen Nationen auch. Wir können hoch verteidigen, pressen und in Schnittstellen spielen! Und wir haben schöne Dressen, ausgenommen vielleicht die türkisen Unterhosen.

Für uns spricht, dass heutzutage Kleinigkeiten entscheiden, zum Beispiel Standardsituationen, umstrittene Handschulterbrustelfmeter, die Farbe des Tormannpullovers oder der eine oder andere kleine Scherz von Dragovic. Viel wird vom Spielverlauf abhängen! Wenn es uns gelingt, in jedem Spiel ein frühes Tor zu schießen, werden Räume entstehen, was uns in die Karten spielen könnte.

Wir sind schwer auszurechnen: Arnautovic kommt aus dem Land des (chinesischen) Lächelns, ist aber kein Operettenkicker. Sabitzer und Alaba haben oft gezeigt, dass sie im Team nie zeigen, was sie im Verein zeigen. Wenn es den fleißigen Flankenzwergen Lainer und Ulmer gelingt, hoch auf den Kopf des Superriesen Kalajdzic zu flanken, muss unser Leuchtturm nur „Guten Tag“ sagen und die Kugel ins Kreuzeck abtropfen lassen … Und hinten haben wir eine Hinti-Army!

Anders als frühere Wunderteams kann unser Team „investieren“, „kreieren“ und „Lösungen finden“. Unsere Reihen bilden elf Rhetoriker, Wissenschaftler, Wirtschaftler, will sagen: Kapitalisten: Da sind Konkurs und Debakel so gut wie ausgeschlossen. Im entscheidenden Momentum „liefern wir ab“ und „hauen alles raus“. Das wichtigste Argument: Von 24 Nationen scheiden in der Vorrunde nur 8 aus. Da ist es fast unmöglich, sich nicht für das Achtelfinale zu qualifizieren!

Kontra

Ich sehe schwarz! Teamchef Foda ist es gelungen,
den heimischen Größenwahn zu vertreiben. Leider ist die Stimmung jetzt unter dem Gefrierpunkt. Auch weil
er Angsthasen-Schlafwagenfußball spielen lässt.
Franzobel

Wenn man dem Trainer etwas zugutehalten muss, dann seine Fähigkeit, die Erwartungshaltung zu dämpfen. Noch nie war die Vorfreude auf ein Großereignis mit österreichischer Beteiligung so schaumgebremst. Franco Foda hat es mit seiner nicht funktionierenden, das Angriffsspiel lähmenden Defensivtaktik geschafft, die coronal unterkühlte Stimmung der Fans unter den Gefrierpunkt zu treiben. Dabei kann sich seine Bilanz sehen lassen: 21 Siege, acht Niederlagen. Man hat Uruguay und Deutschland besiegt, aber gegen Lettland gepatzt und sich gegen Dänemark angeschüttet.

Der vom Katholizismus geeichte, an Selbstkasteiung gewöhnte österreichische Fußballfan erwartet diesmal nicht den Titel, sondern das Schlimmste, ein blamables Ausscheiden. Weder sind variable Spielsysteme gefunden, noch kann man von einem homogenen Mannschaftsgefüge sprechen. Es gibt keinen Stammtorwart, die Abwehr offenbart oft Löcher von der Größe des Wörthersees und David Alaba gefällt sich in als zentraler Spielflussverzögerer, was nicht selten an ein aufgescheuchtes Hendl erinnert. Hinter den Kreativblitzen Baumgartner und Arnautovic liegt ein verletzungsbedingter Stromausfall, und im Sturm steht ein einsamer Leuchtturm namens Kalajdzic, dem im nicht auf einen Storchstürmer ausgerichteten österreichischen Spiel wenig zufliegen wird.

Foda ist es gelungen, den heimischen Größenwahn zu vertreiben. Seit 67 Jahren hat Österreich nichts Zählbares erreicht, dennoch glauben wir beharrlich, kurz vor einem Titel zu stehen. Diesmal nicht. Die Stimmung ist miserabel. Vielleicht ernudeln wir einen Sieg gegen Nordmazedonien, aber dann folgt der Tauchgang gegen die Niederlande, um im ukrainischen Ungemach zu landen.

Vor 25 Jahren wäre eine dermaßen mit Legionären legierte Mannschaft wie die unsere Geheimfavorit gewesen. Heute spielen sogar die Nordmazedonier in großen europäischen Ligen. Nicht umsonst haben sie unlängst Deutschland gebogen. Im Fußball ist einiges möglich und vielleicht wäre die Voraussetzung, etwas Großes zu erreichen, diesmal günstig. Die Erwartungshaltung steht bei null, der halbe Kader ist rekonvaleszent, also nicht überspielt, die Kicker sollten internationale Reife besitzen.

Aber für einen Erfolgslauf bräuchte es verinnerlichte Abläufe, ein funktionierendes Umschaltspiel und variable taktische Systeme. Alles Dinge, die unser Angsthasen-Schlafwagenfußball nur vom Hörensagen kennt. Ich sehe schwarz, auch wenn es im Logo neuerdings türkis ist.