Ende vergangener Saison brauchte es bei Sturm eine Perspektivenklausur, um als Verein wieder in die Spur zu finden. Aber hat der Vorstand nicht schon zuvor mit der Bestellung von Andreas Schicker als Geschäftsführer Sport einen Neubeginn eingeleitet?
CHRISTIAN JAUK: Jeder neue Sportdirektor bringt eigene Ideen ein und jeder hat seine eigene Persönlichkeit. Andi gewinnt Menschen mit seiner jugendlichen Unbekümmertheit. Seine aktive Zeit ist nicht so lange her und er versteht Fußballer, weiß was sich in ihren Köpfen abspielt. Er wird oft unterschätzt, ist ein richtiger Fuchs und das meine ich positiv.

Er ist dann vielleicht ein Spiegelbild der Mannschaft in dieser Saison. Auch sie wurde unterschätzt.
Bei Sturm bin ich es gewohnt, dass vieles von der Erwartungshaltung abhängt. Und diese war nach der vergangenen Saison deutlich geringer. Wir haben uns für einen Weg über drei Jahre entschieden. Der Grunddurchgang, aber im Speziellen der Herbst, lag ganz klar über den Erwartungen. Die Mannschaft tritt durch die mutige Strategie des Trainers so auf, dass uns der eine oder andere unterschätzt hat. Aber das hat sich im Laufe der Saison verändert. Der Respekt der Gegner ist größer geworden. Dadurch haben wir uns in den letzten Spielen etwas schwerer getan.

Acht Siege in Heimspielen ist dennoch eine gewisse Machtdemonstration. Wie sehr schmerzt ausgerechnet jetzt das Fehlen der Fans?
Fußball ist Begegnung. Das gilt insbesondere für den SK Sturm. Das Fehlen der Fans tut mir weh. Wenn du Spiele in den letzten Minuten gewinnst, löst das zusätzliche Emotionalität aus. Davon gab es genug, fast alle vor unserer Nordkurve. Unlängst hat mir ein Fan erzählt, dass er seit vielen Jahren darauf wartet, dass in der letzten Sekunde vor der Fankurve ein Freistoß von uns im Kreuzeck landet. Das wäre wohl so ein historischer Moment zum Feiern gewesen. Durch diese Pandemie müssen wir leider alle durch. Die Menschen machen viel mit.

Befürchten Sie eine gewisse Entwöhnung des Stadiongehens. Oder denken Sie, dass bei Öffnung der Stadien alle Fans in die Arenen strömen?
Diese Frage beschäftigt die Experten der Fußballwelt. Was die Sturm-Familie betrifft, bin ich davon überzeugt, dass wir emotional zusammengerückt sind. Am Beginn der Saison, als wenige Zuseher zugelassen waren, konnte man diese extrem positive Stimmung spüren. Bei der Sturm-Familie bin ich mir sicher, wenn das Stadion wieder geöffnet wird, dass sie uns ein volles Haus bescheren wird.

Auch, wenn es mit Kaffeesudlesen vergleichbar ist, sei die Frage gestellt. Wann glauben Sie, dürfen Zuschauer wieder live dabei sein?
Ich bin kein Experte, die Komplexität des Themas ist hoch. Mein Bauchgefühl sagt, in dieser Saison wird es nichts mehr, aber es sagt mir auch, dass wir ab Beginn der nächsten Saison wieder Fans im Stadion haben werden. Keine Ahnung wie viele erlaubt sein werden.


Wie sehr hat sich die Pandemie bisher wirtschaftlich auf den SK Sturm ausgewirkt?
Der Fußball braucht, so wie andere Branchen, die öffentliche Unterstützung. Wir sind, wie alle Vereine, vom Sportligen-Fonds abhängig. Unser Ziel ist und bleibt, dass wir ohne Schulden aus der Krise gehen.

Und dies ist realistisch?
Es gibt immer Variable. Aber zum heutigen Zeitpunkt würde ich die Antwort als ambitioniert aber realistisch sehen.

Haben alle Sponsoren Sturm die Treue halten können? Oder mussten eventuell manche aus eigener wirtschaftlicher Situation abspringen?
Die Treue dürfte eine Eigenschaft sein, die nicht nur unsere Fans auszeichnet, sondern auch die Sponsoren. Und dafür möchte ich mich bei allen öffentlich bedanken. An der Spitze dieser Treue steht unser Hauptsponsor Puntigamer, mit dem wir heuer unser 25-Jahr-Jubiläum feiern. Das wird wohl erst in der zweiten Jahreshälfte stattfinden können. Die Treue aller gibt uns Kraft.

Sie haben zu Beginn des Interviews die Erwartungshaltung angesprochen. Welche Erwartungen haben sie von der Mannschaft in der Meistergruppe?
Seit dem neuen Modus haben wir immer die Meistergruppe erreicht, was wenigen Vereinen gelungen ist. In diesen zehn Spielen geht es gegen die Besten. Und wenn es nur noch gegen die Besten geht, erfordert es das Beste jedes Einzelnen. Es ist sowohl psychisch als auch physisch der Kampf um jeden Millimeter, da muss alles stimmen. Wir haben noch etliche Rechnungen offen in dieser Saison. Wir konnten weder gegen den WAC, Rapid oder den LASK gewinnen, ohne aber schlechter zu sein. Umgekehrt gelang es, die scheinbar übermächtigen Salzburger zwei Mal zu besiegen. Ich traue der Mannschaft alles zu. Hoffentlich bewegen sich die Millimeter-Entscheidungen in unsere Richtung.

Sie sprechen die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter zuungunsten des SK Sturm an?
Es hat wenig Sinn, wenn wir uns zu viel mit diesem Thema beschäftigen. Das gibt nur Platz für Ausreden. Wir müssen das, was wir selbst gestalten können, in die Hand nehmen. Es wäre schön, wenn die Mannschaft das vollenden könnte, was sie sich im Grunddurchgang erarbeitet hat. Jeder Spieler weiß: Wenn wir erfolgreich sind, belohnt sich jeder selbst.

Sollte es nicht nach Wunsch laufen, ist auch nichts passiert. Schließlich hat Sturm den Drei-Jahres-Plan.
Drei-Jahres-Plan heißt nicht, dass du die Möglichkeiten, die dir auf dem Weg geboten werden, nicht nutzen möchtest. Die Entwicklung in der Saison gibt viel Selbstvertrauen und stärkt den Glauben, dass große Dinge möglich sind. Ich weiß, Trainer Christian Ilzer wird alles dafür geben. Man sollte jede Chance im Leben nützen, die sich einem bietet. Das gilt ja nicht nur für den Fußball. Im Fußball umso mehr, weil in einem Spiel wenige Augenblicke über den Erfolg entscheiden. Das macht den Fußball so attraktiv und spannend.

Die typischen Mitglieder-Vereine sind vom Aussterben bedroht. Mit Sturm und Rapid gibt es in Österreich in der höchsten Spielklasse nur noch zwei „echte Mitglieder-Vereine“. Muss sich Sturm nicht damit beschäftigen, auch Investoren zuzulassen?
Der Fußball hat sich insgesamt dramatisch verändert. Auch in unserer höchsten Liga existieren mehrheitlich Vereine mit Investoren-Modellen. Das ging an der Öffentlichkeit fast vorbei. Mit Sturm und Rapid gibt es in Wahrheit nur noch zwei unabhängige Mitglieder-Vereine. Wir sind sozusagen eine Rarität im Fußball, die sich zu den Wurzeln des Fußballs bekennt. Ich bin sehr stolz auf diesen Weg. Wir werden diesen Weg der Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit weitergehen.

Man nimmt den wirtschaftlichen Nachteil in Kauf, um unabhängig zu bleiben?
Unabhängigkeit bedeutet auch, nicht das Maximum des wirtschaftlichen Potenzials auszuschöpfen. Ich denke, dass das Zeitalter der maximalen Ökonomisierung des Fußballs vorbeigeht, auch wenn die aktuelle Diskussion um die Champions League das Gegenteil symbolisiert. Die Geschichte des SK Sturm als unabhängiger Verein kann uns keiner nehmen. Unser Weg ist der dem Menschen näherstehende und deutlich sympathischere. Von dieser Überzeugung bin ich geprägt. Umso größer unsere Sturm-Familie, umso stärker unsere Unabhängigkeit.

Sie waren immer der Meinung, dass es zwischen dem Sportdirektor und dem Trainer eine gewisse Reibung braucht, um erfolgreich zu sein. Beweisen Andreas Schicker und Christian Ilzer nicht gerade das Gegenteil?
Das hängt aber von den handelnden Personen ab. Ich denke, im Spitzensport brauchst du Spannung. Reibung ist nur eine Form dieser Spannung, wenn man so will. Spannung muss immer von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis begleitet werden. In unserem Verein verspüre ich derzeit absolute Geschlossenheit, aber auch viel Neugier und Mut, neue Wege zu gehen. Und das beflügelt uns und soll so lange wie möglich beibehalten werden.