"Lasst uns die Reihen schließen, wir sind bereit bis zum Tod.“ Der Refrain der italienischen Nationalhymne, die von den Kickern und ihren Fans bei jedem Länderspiel so inbrünstig gesungen wird, ist ein martialischer. Die Geschlossenheit und den unbändigen Willen bringt die „Squadra Azzurra“ bei dieser EM allerdings wirklich auf den Rasen. Der Lohn waren bisher zwei überzeugende 3:0-Siege über die Türkei und die Schweiz sowie das Achtelfinalticket, noch bevor es heute zum Abschluss der Gruppenphase und wohl mit einigen Rotationen in der Startelf gegen den Tabellenzweiten der Gruppe A aus Wales geht.

Und plötzlich ist Italien Mitfavorit. Eine stolze Fußballnation erhebt sich nach Jahren des Leidens. 2016 schieden die Italiener schon im EM-Viertelfinale aus, der Super-GAU folgte 2017, als die WM 2018 im Play-off gegen Schweden erstmals seit 60 Jahren verpasst wurde. Dann kam Erfolgstrainer Roberto Mancini und drehte alles auf Links. Italien agiert nicht nur defensiv geschlossen, sondern vor allem selbstbewusst und spielfreudig. So verwöhnt wurden die Fans eines Landes, das jahrelang mit 1:0-Siegen zufrieden war, noch nie. Das ist der Verdienst des Teamchefs, der 2018 übernahm und zuletzt 29 Mal nicht verlor, davon 24 Spiele sogar gewann. Das Torverhältnis von 31:0 in den letzten zehn Partien spricht sowieso für sich.

Alles perfekt aufeinander abgestimmt

Mancini schafft es nicht nur, die Mannschaft emotional zu packen, er sucht sich auch gezielt Spieler, die sein System mit drei Sturmspitzen und einem kompakten Mittelfeld dahinter perfekt umsetzen können. So sind Offensiv-Kräfte wie Federico Chiesa oder Andrea Belotti momentan nicht mehr als Ergänzungsspieler. Dafür geigt im Sturm ein anderer groß auf: Domenico Berardi, von Juventus Turin 2015 für zu schwach befunden, spielte sich über Sassuolo in den EM-Kader und dankte es im ersten Spiel mit zwei Vorlagen. Mittelfeldmann Manuel Locatelli tat es seinem Klubkollegen gleich. 2018 wurde das Eigengewächs bei Milan aussortiert, bei Sassuolo ist er Schlüsselspieler. Im Nationalteam rutschte er für den verletzten Marco Verratti in die Zentrale und schnürte gegen die Schweiz in seinem erst zwölften Länderspiel einen Doppelpack. Hinten sind die Italiener weiterhin eine Bank. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Mancini den 2017 zurückgetretenen Innenverteidiger-Veteran Giorgio Chiellini (36) zurückholte.

„Unterschätzt uns bloß nicht“, warnte Mancini schon vor der Euro vor eben jenen geschlossenen Reihen und dem absoluten Willen, die Schmach von 2017 vergessen zu machen. „Der Titel könnte eine Wiedergeburt für den Fußball und für das ganze Land sein. Es ist Zeit, den Leuten ein Lächeln zu schenken.“ Der Trainer und sein Team lassen ein sportlich und auch – durch die Coronakrise verstärkt – wirtschaftlich gebeuteltes Land träumen.