Linhart sprach von einem "Herzensanliegen". Bosnien-Herzegowina im Speziellen sei "ein Land, wo man dieses Signal sehr gut anbringen kann", so der Außenminister auf die Frage, warum ihn seine erste Reise als Minister gerade nach Sarajevo geführt hat. "Diese Message gilt aber für den gesamten Westbalkan." Weiters gelte es, dies auch zu einem großen Thema in der EU zu machen.

Damit setzt der neue ÖVP-Minister die Linie der türkis-grünen Regierung fort, die stets als Mentorin einer Erweiterung der EU um die Staaten des Westbalkans (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien) aufgetreten war. Österreich sei der stärkste Befürworter innerhalb der Union, den Westbalkanstaaten eine klare Beitrittsperspektive zu geben, bestätigte auch Gerhard Mangott, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck, den "Vorarlberger Nachrichten" (Donnerstagsausgabe).

Auf EU-Ebene werde sich Linhart in dieser Frage allerdings nicht durchsetzen können, analysierte der Experte. Es fehlten die Verbündeten. Abzuwarten seit laut Mangott, ob sich der neue Außenminister so stark wie bisher mit den Visegrád-Staaten Ungarn und Slowakei abstimmen werde. Allerdings: Sofern der ehemalige Bundeskanzler und nunmehrige ÖVP-Klubobmann Sebastian Kurz weiterhin die Vorgaben liefere, "wird er die Linie beibehalten", so der Experte.

Während das aktuelle EU-Vorsitzland Slowenien, Österreich oder Deutschland die Westbalkan-Erweiterung nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interesse forcieren, ist sie EU-Granden wie Frankreich kein primäres Anliegen. Allerdings könnte dem 63-jährige Karrierediplomaten diesbezüglich zugutekommen, dass er zuletzt Botschafter in Paris war. Linhart unterstrich auch, dass es Gespräche mit Frankreich über die Bedeutung des Westbalkans für Europa gebe. Das Land wird zu Jahresbeginn auch die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.

Als besonders heikel gilt, dass die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien bereits seit rund einem Jahr von Bulgarien aus innenpolitischen Gründen blockiert wird - und das, obwohl eigentlich bereits im März 2020 ein klarer EU-Beschluss für den Start von Verhandlungen getroffen wurde. Hintergrund der Bemühungen um eine EU-Erweiterung in der Region ist auch die Sorge, dass bei einer mangelnden oder schwindenden EU-Perspektive in diesen Ländern der Einfluss Chinas, Russland oder der Türkei weiter steigen könnte.

Im zu 45 Prozent muslimisch geprägten Bosnien-Herzegowina war zudem in manchen Landesteilen bereits während des Bosnien-Kriegs (1992-1995) und danach ein "starker Einfluss von gewissen arabischen Ländern und Salafisten" bemerkbar, wie etwa 2015 anlässlich eines Besuchs des damaligen Außenministers Sebastian Kurz (ÖVP) festgehalten wurde. Bedeutsam war insbesondere der Einfluss Saudi-Arabiens, der sich nicht zuletzt durch die Finanzierung zahlreicher Moscheen bemerkbar machte.

Am Donnerstagnachmittag traf Linhart auch mit dem Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina, dem Deutschen Christian Schmidt zusammen. Das Büro des Hohen Repräsentanten spiele auch als Institution der letzten Instanz eine wichtige Rolle, betonte der Außenminister Der Besuch sollte außerdem zeigen, dass das Amt wichtig für das Funktionieren des Gesamtstaats Bosnien-Herzegowina sei.

Der CDU-Politiker und deutsche Ex-Landwirtschaftsminister Schmidt hatte Anfang August den Österreicher Valentin Inzko als Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina abgelöst. Der Kärntner Slowene hatte das Amt zwölf Jahre lang innegehabt. Einige Jahre zuvor war mit Wolfgang Petritsch von 1999 bis 2002 bereits ein weiterer Kärntner Diplomat in dieser Position gewesen.

Seit dem Friedensabkommen von Dayton (1995) besteht Bosnien-Herzegowina aus zwei Landesteilen, der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska (Serbische Republik). Zahlreiche Entscheidungen können nur mit Zustimmung der drei Hauptvolksgruppen gefällt werden. Das komplizierte Staatsgebilde lähmt das Land. Zudem machen sich die Spannungen zwischen den drei Volksgruppen, den (muslimischen) Bosniaken, den (katholischen) Kroaten und den (orthodoxen) Serben, auch im politischen Alltag immer wieder bemerkbar.

So nahm die Regierung im Juli dieses Jahres einen Vorschlag von Außenministerin Bisera Turković, die der bosniakisch dominierten Partei der Demokratischen Aktion (SDA) angehört, für einen landesweiten Trauertag in Erinnerung an die Opfer des Massakers von Srebrenica nicht an. Das Ansinnen wurde von vier Ministern aus den Reihen der serbischen Volksgruppe nicht unterstützt. Seit Mittwoch ist zudem in der Republika Srpska die Leugnung von Völkermord wieder erlaubt. Dies bezieht sich vor allem auf das Massaker von Srebrenica. In der ehemaligen ostbosnischen muslimischen Enklave waren von bosnisch-serbischen Truppen im Juli 1995 rund 8.000 Männer ermordet worden. Die Republika Srpska und auch Serbien lehnen es ab, dies als Völkermord zu bezeichnen.

Dass Österreich in dem Westbalkanstaat immer noch etwas mitzureden hat, zeigt sich auch darin, dass auch der EU-Sonderbotschafter Johann Sattler aus Österreich kommt. Zudem stellt das Bundesheer seit 2009 den Kommandanten der EUFOR-Truppe in Bosnien-Herzegowina, aktuell in Person von Generalmajor Alexander Platzer. Österreich verfügt mit rund 300 Soldatinnen und Soldaten über das größte Kontingent innerhalb der EUFOR/ALTHEA-Mission. Diese wird Linhart am Freitag besuchen.

Zur Zeit beteiligen sich 14 EU-Länder und fünf Nicht-EU-Staaten an der Friedensmission. Die Soldaten helfen der Bevölkerung beim Wiederaufbau ihres Landes und gewährleisten ein sicheres Umfeld. Das Österreichische Bundesheer ist seit 1996 Mitglied der internationalen Friedenstruppe in Bosnien und Herzegowina. Seit Dezember 2004 stehen die österreichischen Soldaten unter dem Kommando der EU. Das Hauptquartier befindet sich in Sarajevo.

Zudem ist Österreich ein sehr wichtiger Investor in Bosnien-Herzegowina und ein bedeutender Wirtschaftspartner. Durch die Coronakrise gab es freilich erhebliche Einbußen sowohl bei den Importen als auch bei den Exporten. Das Handelsvolumen blieb 2020 knapp über der Grenzmarke von einer Milliarde Euro. Laut Wirtschaftskammer war 2021 aber ein deutlicher Aufschwung zu spüren. Um diesen Trend zu pushen, nahm Außenminister Linhart auch an einer Veranstaltung im Rahmen des vom Außenministerium propagierten Post-Corona-Wiederaufbauprojekts "ReFocus Austria" teil.

Dabei erklärte er bei einer Veranstaltung in der österreichischen Botschaft von Sarajevo: "Jetzt ist das Momentum, wieder etwas für die Wirtschaft zu tun." Auch für die österreichischen Firmen, die am Westbalkan präsent seien. "Wir brauchen Partner, Österreich ist ein exportorientiertes Land, wir verdienen sechs von zehn Euro im Export." Bosnien-Herzegowina sei ein wichtiger Partner. "Es gibt Chancen, um die Zusammenarbeit zu verstärken auch für Investitionen." Der Außenminister appellierte, dass in Bosnien-Herzegowina die gesamtstaatlichen Institutionen gestärkt werden müssten, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. "Sicherheit und Stabilität in einer Region" hänge immer auch "mit wirtschaftlicher Entwicklung" zusammen.

Am Freitag folgen für Linhart auch Termine mit der Außenministerin Turković und dem von den Vertretern der drei Volksgruppen besetzten dreiköpfigen Staatspräsidium. Den Vorsitz im Präsidium hat seit Ende Juli der Kroate Željko KomÅ¡ić inne. Weitere Mitglieder sind der Bosniake Å efik Džaferović und der Serbe Milorad Dodik.