FPÖ-Chef Norbert Hofer blickt mit Sorge auf die neue türkis-grüne Regierungskoalition. Zwar gebe es im Programm auch Punkte, denen er zustimmen könne - etwa: Kopftuchverbot und Sicherungshaft für Gefährder -, aber der Alltag werde ganz anders verlaufen.

Seine Prognose: "Im Ministerrat herrscht Einstimmigkeit, und Sebastian Kurz kann nicht zum dritten Mal vorzeitig eine Regierung sprengen. Deshalb werden die Grünen im Regierungsalltag Druck machen", so Hofer in der ZiB 2. Es sei "ein Linksruck in der Gesellschaftspolitik" zu erwarten.

Auch viele andere gesellschaftliche Gruppen äußern sich derzeit zum türkis-grünen Regierungsprogramm - teils mit überraschendem Lob und überraschender Kritik. Wir bringen hier Auszüge, wie wichtige Gruppen das Programm beurteilen:

Gewerkschaftsbund:

Vorsichtiges Lob für das Regierungsprogramm kommt vom Gewerkschaftsbund ÖGB: Bei einer ersten Durchsicht seien "im Vergleich zur Vorgängerregierung zahlreiche Verbesserungen" enthalten, so ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann. Konkret hebt die Vizepräsidentin die Ausnahme von Klima- und Zukunftsinvestitionen aus dem bestehen Schuldenziel hervor. „Die ÖVP verabschiedet sich damit vom Verständnis, Schulden vom Konjunktur-Zyklus unabhängig zu betrachten." Damit werde eine wichtige Gewerkschaftsforderung erfüllt.

Kritik übt der ÖGB aber an "geplanten Steuergeschenken für Konzerne". Außerdem würden weder das Arbeitszeitgesetz noch der Umbau der Sozialversicherung zurückgenommen, bedauert Schumann. Auch die geplante Pflegeversicherung lehnt die Gewerkschaft ab. Begrüßt wird hingegen das Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft. Der ÖGB sei zum Dialog mit der Regierung bereit.

Industriellenvereinigung:

Einiges an Lob gibt es auch von seiten der Industrie. Türkis-Grün sei für Europa eine neue und einzigartige Konstellation, das schaffe neue Möglichkeiten, sagt der Präsident der Industriellenvereinigung (IV), Georg Kapsch. Er erhofft sich „eine Kombination aus starker Standortpolitik und gesellschafts- sowie bildungspolitischer Offenheit“.Als richtige Ansätze sieht er etwa die Steuerreform mit Entlastung, die Festschreibung des Nulldefizits als Budgetziel und das Bekenntnis zu Innovation und Forschung.

Erwartet werde von der IV aber auch das „Anpacken“ großer Themen wie Pensionen, Gesundheit, Pflege, Bildung, Klima und Energie, Föderalismusreform sowie der Frage nach Generationengerechtigkeit. „In einem größeren Kontext muss es letztendlich auch darum gehen, wie wir Eigenverantwortung wieder fördern und stärken und gleichzeitig Armut beseitigen, wie wir Populismus und Polarisierung vermeiden und zu einem echten politischen und gesellschaftlichen Miteinander kommen“, so Kapsch.

SPÖ:

Wenig begeistert vom Programm zeigt sich erwartungsgemäß die oppositionelle SPÖ. Die ÖVP habe sich in beinahe allen relevanten Bereichen durchgesetzt, das Programm beinhalte daher "viel Blau", sagt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Und weiter: „Der türkis-blaue Kurs wird im Sinne der von Kurz gewünschten ‚ordentlichen Mitte-Rechts-Politik‘ auch mit den Grünen fortgesetzt.“ Insbesondere in der Frage der Präventivhaft sieht Deutsch eine massive Gefahr für den Rechtsstaat. „Haft auf Verdacht öffnet Tür und Tor für Missbrauch.“

Auch an der Realisierung der groß angekündigten „ökosozialen Steuerreform“ hegt der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Zweifel: „Kurz will die ökosoziale Steuerreform, das Prestigeprojekt der Grünen, in eine Task Force verräumen und damit auf die lange Bank schieben.“ Dem Programm fehle ganz klar die soziale Handschrift. So fehlten die von SPÖ geforderten 1.700 Euro steuerfrei, und beim Familienbonus sei weiterhin nicht jedes Kind gleich viel wert. Dass jetzt auch noch eine Pflegeversicherung kommen soll, sei eine weitere zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer.

SPÖ-Bundesparteivorsitzende Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner: „Auf den ersten Blick scheint Österreich eine türkise Regierung zu bekommen, denn die grünen Ziele muss man im Regierungsprogramm lange suchen.“ Rendi-Wagner zeigt sich enttäuscht darüber, dass von den grünen Versprechen beim Thema Armutsbekämpfung wenig übriggeblieben ist: „Von Armut bedrohte Kinder haben kaum etwas von den türkis-grünen Plänen zum Familienbonus, während Besserverdiener profitieren.“

Bundesjugendvertretung:

Freude über den Klimaschwerpunkt im Programm äußert die Bundesjugendvertretung (BJV). Allerdings dürften die geplanten Maßnahmen nicht auf die lange Bank geschoben werden, fordern die BJV-Vorsitzenden Isabella Steger und Caroline Pavitsits. Bedauert wird von der BJV die Beibehaltung der aktuellen Sozialhilferegelung. Als Erfolg wertet die BJV, dass ihre langjährigen Forderung nach einer Kinderkostenstudie laut Regierungsprogramm erfüllt werden soll. Ebenso positiv zu sehen seien geplante Maßnahmen zur Unterhaltssicherung.

Asylkoordination:

Wenig Gutes fällt der "Asylkoordination Österreich" zum Regierungsprogramm ein. Dieses beinhalte "zu viele Altlasten der Strache-Kickl-FPÖ", hieß es in einer Aussendung. Die Tendenzen zur Isolation von Asylwerbern würden fortgesetzt.

Nicht nur, dass die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), umgesetzt werden soll, finde sich im Koalitionsabkommen auch der Plan zur Schaffung eines "grenznahen Asylantragsverfahrens im Binnen-Grenzkontrollbereich", betonte Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der Asylkoordination Österreich. Ein solches bedeute offenbar, dass Asylwerber aus den Ballungszentren in grenznahe Sammellager ohne Zugang für die Zivilgesellschaft gebracht werden sollen.

Auch sei die geplante Sicherungshaft mit der bestehenden österreichischen Verfassung nicht vereinbar, gab sich die NGO überzeugt. Und im Integrationsbereich habe sich die ÖVP mit "desintegrative Maßnahmen" wie die Deutschförderklassen und die Ausweitung des Kopftuchverbotes bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres durchgesetzt.

Umweltdachverband:

Das Regierungsprogramm trage "deutliche ökologische Züge, die in dieser Dimension bis dato noch in keinem anderen Regierungsprogramm enthalten waren“, sagt der Präsident des Umweltdachverbandes, Franz Maier. Er hebt das Bemühen um eine ökologische Steuerreform hervor und lobt die konkret verankerten Punkte (etwa: österreichweites Öffi-Ticket, Einschränkungen der Dieselbegünstigung, naturverträglicher Ausbau erneuerbarer Energien oder auch die Einrichtung eines Biodiversitätsfonds). Auch bei Bodenschutz, Schutz gegen Flächenfraß und in der Landwirtschaft seien positive Ansätze erkennbar. 

Kulturszene:

Dass Ulrike Lunacek für die Grünen als Staatssekretärin in der neuen türkis-grünen Regierung die Agenden der Kunst und Kultur verantworten wird, sorgt in der Kulturszene durchaus für kritische Stimmen. "Insgesamt hätte die Regierung bei ihrem Start der Kunst und Kultur gar nicht weniger Wert beimessen können", beklagte etwa Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen Autoren. Ruiss weiter: "Nach vielen Jahren Ministerkompetenz werden die Kunst- und Kulturagenden nun wieder die Angelegenheit eines Staatssekretariats, ohne Medien, ohne Auslandskultur, ohne Verfassungsrecht, ohne Bildung und ohne Urheberrecht, also zu einem Nebenthema."

Skeptisch äußerste sich via Twitter auch die IG Kultur: "Die Kulturschaffenden haben sich ein deutliches Signal zur Wertschätzung der freien Szene erwartet - nun wird Ulrike Lunacek Staatssekretärin für Kunst und Kultur; In Kulturfragen ist sie ein weitgehend unbeschriebenes Blatt."

Greenpeace:

Einen „Riesenschritt für den Klima- und Umweltschutz“ sieht Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit. Sowohl die geplante Klimaneutralität Österreichs bis 2040 als auch das schrittweise Auslaufen von Öl-, Kohle- und Gas-Heizungen in der Raumwärme seien Meilensteine. Mit der Schaffung eines „Super-Ministeriums“ für Klima- und Umweltschutz sowie Energie und Infrastruktur werde die Zersplitterung der entsprechenden Kompetenzen beendet.

Die Umweltorganisation äußert aber auch Kritik: „Aus ökologischer Sicht ist es inakzeptabel, dass große Teile einer öko-sozialen Steuerreform in eine Task Force ausgelagert und erst ab dem Jahr 2022 eingeführt werden sollen, da ohne sie die Klimaneutralität bis 2040 nicht zu erreichen ist.“

E-Wirtschaft:

Österreichs E-Wirtschaft begrüßt, dass die Themen Klima und Energie im Arbeitsprogramm hohe Bedeutung haben. Positiv nimmt man das Bekenntnis zur Versorgungs- und Netzsicherheit zur Kenntnis. Und die ökologische Steuerreform wird ebenfalls gutgeheißen. "Die E-Wirtschaft steht in den Startlöchern und ist für den Umbau des Energiesystems bereit“, erklärt Leonhard Schitter, Präsident von Oesterreichs Energie.