Noch nie hat eine US-Regierung den Machthaber eines verbündeten Staates öffentlich als Drahtzieher eines brutalen politischen Mordes an den Pranger gestellt. Die Veröffentlichung des amerikanischen Geheimdienstberichts über den Tod des Dissidenten Jamal Khashoggi und die Rolle des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman bei der Gewalttat ist deshalb ein Wendepunkt, und zwar für das Verhältnis zwischen den USA und der ganzen Region.

Was jetzt zum Ausbruch kommt, war in den Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien schon lange ein Problem, wurde aber stets unter der Decke gehalten: Amerika als westliche Führungsmacht und selbsterklärte Hüterin demokratischer Grundwerte kooperierte mit einem islamistischen Regime, das Frauen unterdrückt, Kritiker einsperrt oder hinrichtet und dem eigenen Volk jede demokratische Teilhabe an der Macht verwehrt. Saudi-Arabiens Funktionen als Ölproduzent, westlicher Vorposten am Golf und Bollwerk gegen den Iran ließ alle menschenrechtlichen Bedenken in den Hintergrund treten.

Diese Regel gilt nun nicht mehr. Die USA sind durch Fracking selbst zu einem der größten Ölproduzenten der Welt geworden und nicht mehr abhängig von den Saudis: Im Jahr 2019 importierte Amerika nur noch drei Prozent seines Ölbedarfs – 2005 waren es noch 60 Prozent. Wegen des Klimawandels, der absehbaren Erschöpfung der Ölvorkommen und des Aufschwungs alternativer Energieträger dürfte Öl nie mehr so wichtig sein, wie es einmal war. Daher fällt es den USA leichter, im Verhältnis zu Saudi-Arabien neue Saiten aufzuziehen.

Die schärfere Gangart gegenüber Saudi-Arabien gliedert sich ein in andere außenpolitische Prioritäten der neuen US-Regierung. So hat Präsident Joe Biden angekündigt, die USA würden gegen autoritäre Regime wie China und Russland Stellung beziehen.

Ein Signal an die ganze Region

Gegenüber Saudi-Arabien macht Biden deutlich, dass er Mohammed bin Salman (MBS) nicht als Gesprächspartner akzeptieren will, obwohl der Thronfolger de facto das Königreich regiert. MBS soll isoliert und womöglich zum Thronverzicht gebracht werden. Am heutigen Montag will Bidens Regierung die Grundzüge ihrer neuen Politik gegenüber Saudi-Arabien vorstellen. Laut Medienberichten könnten unter anderem amerikanische Waffenlieferungen an das Königreich eingeschränkt werden.

Dass Biden einen traditionellen Partner öffentlich so demütigt, ist ein Signal an andere US-Partner in der Region wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) oder Ägypten oder Katar. Auch dort werden Menschenrechte eklatant verletzt. Unter Barack Obama hatten die USA deshalb temporär Waffenlieferungen an Kairo eingestellt. Was derzeit mit MBS geschieht, könnte bald auch den Machthabern in anderen Ländern widerfahren.

Muskelspiele gegenüber Teheran

Washington flankiert diese Botschaft mit einer anderen: Nur einen Tag vor der Veröffentlichung des Khashoggi-Berichts hatte Biden den ersten Militärschlag seiner Präsidentschaft angeordnet – und zwar gegen pro-iranische Milizen in Syrien. Damit will Biden klarstellen, dass er die iranische Aggression nicht hinnehmen will. Washington will damit vermeiden, dass die US-Partner im Nahen Osten am Beistand durch die USA zweifeln, so wie sie es unter Obama taten.

Die ersten Reaktionen aus der Region deuten an, dass Biden sich schwertun wird, diese Politik bei den Verbündeten durchzusetzen. Saudi-Arabien wies den Khashoggi-Bericht zurück und erhielt dabei Unterstützung von Bahrain, Kuwait und den VAE. Auch in Joe Bidens Verhältnis zu Israel zeichnen sich Schwierigkeiten ab.

Die Schwäche am Vorgehen der neuen US-Regierung ist nicht, dass sie die Menschenrechte wieder mehr in den Mittelpunkt rücken, oder sich aus der engen Verknüpfung von Politik und Öl lösen will. Bidens Politik fehlt bisher ein inhaltlicher Kern. Was will er mit der neuen Linie erreichen? Auf diese Frage gibt es noch keine überzeugende Antwort.

Hoher moralischer Anspruch

Deshalb ist es kein Wunder, dass Kritiker Bidens bereits die Frage stellen, warum MBS nicht auf der Liste von fast 80 saudischen Regierungsvertretern steht, die mit US-Sanktionen für ihre Rolle bei der Ermordung von Khashoggi bestraft werden sollen. Bidens neue Politik tritt mit einem hohen moralischen Anspruch an – ihr Erfolg wird davon abhängen, ob sie diesem Anspruch gerecht wird.