Es sind Vorwürfe, die schwer wiegen: Die britische Regierung habe zu Beginn der Pandemie Corona-Patienten ohne zu testen zurück in Pflegeheime geschickt und damit die Ausbreitung des Virus gefördert. In erster Linie steht dafür momentan der britische Gesundheitsminister Matt Hancock unter Beschuss. Die Erkenntnisse könnten aber auch Premier Boris Johnson in die Tiefe reißen.

Wie der "Guardian" aktuell berichtet, hätten einige der größten Pflegeheimbetreiber Großbritanniens das Gesundheitsministerium und Matt Hancock wiederholt vor dem Risiko gewarnt, Personen ungetestet zurück in die Pflegeheime zu lassen.

Demonstranten in London vor der Hancock-Anhörung
Demonstranten in London vor der Hancock-Anhörung © AFP

Ihre Behauptungen erhöhen den Druck auf den Gesundheitsminister. Care England, das die größten privaten Pflegeheime repräsentiert, bei denen Tausende Menschen in den ersten Monaten nach Ausbruch des Virus starben, sagte dem "Guardian", es habe  - schriftlich dokumentiert - mehrmals „den Mangel an Tests in Krankenhäusern und im Pflegesektor“ Ende März 2020 angesprochen.

Der Karrierepsychopath Cummings

Es war der ehemalige Downing-Street Top-Berater Dominic Cummings, der den britischen Gesundheitsminister Matt Hancock in einer mehrstündigen Anhörung vor zwei Wochen Lügen und kriminelle Handlungen vorwarf. So habe der Minister etwa auch bei der Beschaffung von Schutzausrüstung versagt und versucht, die Schuld auf andere zu schieben. Cummings sagte, zu Beginn der Coronakrise habe die Regierung auf Kosten von Menschenleben komplett falsch reagiert. Premierminister Boris Johnson und sein Team seien unfähig.

Die Regierung habe die Anzeichen für eine sich ausbreitende Pandemie nicht erkannt, sagte Cummings. Zu spät seien Menschen ins Homeoffice geschickt worden, zu lange seien Pubs und Sportstätten offen geblieben. Johnson habe gedacht, dass das Coronavirus die neue Vogelgrippe sei, und habe anfänglich vorgehabt, sich selbst infizieren zu lassen, sagte Cummings.

Hancock muss sich stellen

Heute hat sich der britische Gesundheitsminister Matt Hancock den Vorwürfen im Unterhaus stellen müssen: Hancock hat sämtliche Vorwürfe von Ex-Regierungsberater Dominic Cummings zurückgewiesen, dass er in der Corona-Krise mehrfach gelogen habe. Er habe keine Ahnung, wieso Cummings die Anschuldigungen erhoben habe, sagte Hancock am Donnerstagvormittag vor den Abgeordneten in London. Es sei bezeichnend, dass der frühere Berater von Premierminister Boris Johnson seit seiner Aussage vor zwei Wochen keine Beweise vorgelegt habe.

"Ich bin jeden Morgen mit der Ansicht und Einstellung aus dem Bett aufgestanden, dass es meine Aufgabe ist, Leben zu schützen und dieses Land aus der Pandemie zu befreien", betonte Hancock. Er habe stets mit "Ehrlichkeit" sowie "Integrität" gehandelt und das Vertrauen Johnsons gespürt.

Nicht genug Kapazitäten

Hancock sagte nun vor Mitgliedern zweier Unterhaus-Ausschüsse, die Regierung habe sich stets an wissenschaftlichen Rat gehalten. Im Frühling 2020 habe der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) allerdings nicht die benötigten Testkapazitäten gehabt. Weil die Auswertung mehrere Tage gedauert habe, seien einige Patienten, die dann später ein positives Testergebnis hatten, in Heime zurückgekehrt.

Bei der Schutzausrüstung habe es nie nationale Engpässe gegeben, sagte Hancock. Er räumte allerdings "örtliche Herausforderungen" ein. Es habe zu der Zeit eine riesige weltweite Nachfrage gegeben und China als einer der wichtigsten Produzenten habe Exportrestriktionen verhängt.