Viel Zeit für ein Einarbeiten bleibt Alexander Schallenberg (ÖVP) nicht. Der Diplomat, der gestern als Nachfolger von Sebastian Kurzangelobt worden war, beging heute seine erste Parlamentssitzung als Bundeskanzler. In der einberufenen Sondersitzung, in der die Opposition eigentlich Kurz aus dem Amt jagen wollte, gab Schallenberg eine Regierungserklärung ab. Bei der anschließenden Debatte im Hohen Haus, bei der sich auch der neue Außenminister Michael Linhart vorstellte, ging es turbulent zu.

Zum Nachlesen: Das war der Tag im Nationalrat

Die Nationalratssitzung beginnt mit der Verlesung eines Statements von Kurz. Er informiert darin, dass er vom Kanzleramt entbunden wurde und Klubobmann wird. Denn den turbulenten Tag, der heute im Nationalrat bevorsteht, wird „Altkanzler“ Kurz noch nicht vom türkisen Chefsessel im Plenum aus verfolgen. Er wird erst am Donnerstag zum neuen Klubobmann angelobt.

Schallenberg: "Unsere Hand ist ausgestreckt"

Schallenberg beginnt mit seiner Regierungserklärung. Und dabei gleich mit einer Botschaft: "Unsere Hand als neue Volkspartei ist ausgestreckt, um die entstandenen Gräben zu überwinden." Die ÖVP klatscht, die Opposition tut es nicht. Eben diese tadelt Schallenberg gleich wegen "mutwilliger Aktionen" wie dem Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP). Die SPÖ hat einen solchen angekündigt, die FPÖ will einen gegen die gesamte Regierung einbringen.

"Selbstverständlich werde ich eng mit ÖVP-Bundesparteiobmann Sebastian Kurz zusammenarbeiten", wiederholt Schallenberg erneut, in den Reihen der Opposition werden die Köpfe geschüttelt. Der neue Kanzler hält fest, dass jeder, der könne, arbeiten solle und jene, die arbeiten, davon leben können sollen. Dafür werde die Regierung weiterhin sorgen. Man wolle zudem weiter auf Hilfe vor Ort setzen, aber nicht blind Menschen aufnehmen. Nach einer Bitte an die Parteien um Zusammenarbeit und "kritische Begleitung" ist der neue Kanzler nach zehn Minuten bereits am Ende seiner Ansprache.

Kogler: Abtritt für Kurz "ja auch nicht einfach"

Vizekanzler Werner Kogler macht weiter und wird von den aufgebrachten Abgeordneten immer wieder mit Zwischenrufen unterbrochen. Kurz verdiene "Respekt" für seinen Abgang, führt er aus. "Das ist ja auch nicht einfach". Der Schritt sei jedenfalls ein richtiger gewesen. Die Republik brauche jetzt "Orientierung und Stabilität". Den Klubobleuten dankt er für die Gespräche, "weil erkennbar war, dass wir eines gemeinsam wollen: dass für Stabilität gesorgt werden sollte".

Froh zeigt sich Kogler auch, dass Neuwahlen abgewendet wurden. Diese seien zwar "das Wichtigste in der repräsentativen Demokratie", das Schlimmste wäre aber, wenn das Vertrauen in die Institutionen "erodiert". Lobend erwähnt Kogler Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dessen Amtsführung für Stabilität sorge.

"Wer blind folgt, kann nicht führen"

Die Reden von Kanzler und Vizekanzler sind vorbei, die Opposition ist am Wort. Und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hält gleich zu Beginn fest: Schallenberg sei "als Bundeskanzler und nicht als Obmann der ÖVP angelobt worden". Applaus im Plenum. Seit Kurz "an der Macht ist, kommt das Land nicht mehr zur Ruhe", führt sie aus. Für die Parteichefin zeigen die Vorwürfe ein "Sittenbild der Skrupellosigkeit". Nachdem Schallenberg erneut seine Unterstützung für seinen Vorgänger bekräftigt hat, nennt Rendi-Wagner ihn "Kanzler von Kurz Gnaden". Er solle sich emanzipieren, denn "wer blind folgt, kann nicht führen".

August Wöginger, der nach Kurz nun zweiter Stellvertreter im Klub ist, lobt diesen als "großer Staatsmann und wir bedanken uns bei ihm." Man sei überzeugt, dass sich die Vorwürfe "als falsch herausstellen werden". Den anderen Parteien wirft Wöginger "Doppelmoral" vor. Zudem gebe es "einige aktuell Beschuldigte im Hohen Haus". Und er zitiert die Medien: "Wer von euch ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein." Und er warnt vor dem "Experiment Vierparteienkoalition", das gedroht habe. Die SPÖ sei heute noch "frustriert", dass dieses nicht realisiert worden sei.

"Aus Lichtgestalt Kurz wurde gefallener Engel"

FPÖ-Chef Herbert Kickl sieht Kurz Karriere in der ÖVP als gescheitert an. Und erklärt in Richtung Partei: "Aus Ihrer Lichtgestalt ist ein gefallener Engel geworden". Die Bevölkerung könne sich aber nun - nach Bekanntwerden der Chats - "von Ihnen befreien". Dass Kurz heute nicht im Parlament ist, sorgt bei Kickl für große Unzufriedenheit. "Vielleicht schaut er zu, vielleicht bastelt er aber auch schon an seiner Liste Kurz," mutmaßt der FPÖ-Chef.

"Muss das Land denn noch mehr Schaden nehmen?", fragt Kickl und hofft, dass auch die anderen Parteien dem Misstrauensantrag der FPÖ zustimmen werden. Der FPÖ-Chef hat Kurz außerdem ein "Stück Weltliteratur" als Geschenk mitgebracht. "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde passe "ganz ausgezeichnet zu Sebastian dem Selbstlosen Kurz". Dieser kann das Geschenk nicht selbst annehmen, er ist heute noch nicht im Nationalrat.

Neues Kapitel

"Wir schlagen heute ein neues Kapitel auf", sagt die grüne Klubchefin Sigrid Maurer. Die letzten sechs Jahre hätten die Republik durchgebeutelt, aber auch gezeigt, dass Parlament und Regierung "handlungsfähig sind". Die Grünen würden nun alles daran setzen, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen.

Das neue Kapitel beinhalte aber auch die Durchführung der noch offenen Projekte der Regierung wie der Steuerreform, dem Kampf gegen die Corona-Pandemie und die Klimakrise sowie den Ausbau von Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Maurer bedankt sich auch bei den Oppositionsparteien für die Gespräche in den letzten Tagen.

Justiz-Akt-Kopie auf dem Boden

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger vermisst den Mut für einen Neustart. Ob die Regierungskrise vorbei ist, steht für sie offen. "Es ist schon spannend, dass während Sie, Herr Bundeskanzler, im Hohen Haus gesprochen haben und die Unschuld von Sebastian Kurz beteuert haben, die eine Meinungsforscherin festgenommen wurde." Gemeint ist Susanne Beinschab. Das ließe nur einen Schluss zu: "Es ist vorbei."

Auch Meinl-Reisinger hat ein Geschenk für die ÖVP mitgenommen. Sie überreicht Kanzler Alexander Schallenberg eine Kopie der 104-seitigen Anordnung zur Hausdurchsuchung. Dieser legt die Papiere mit den Chats auf den Boden hinter sich.

Schallenberg hat sich für die Optik dieser Geste inzwischen via Twitter entschuldigt.

"Alles, was gezählt hat war Macht, Macht, Macht. Die Menschen waren Ihnen völlig egal." Die Neos-Chefin fordert die Regierung auf, gemeinsam Gesetze gegen Medienkorruption zu beschließen. Die Neos bringen einen Entschließungsantrag dazu ein.

Für den neuen Außenminister Michael Linhart ist es "eine Ehre", im Parlament sprechen zu dürfen. Außenpolitische Krisenherde würden keine Pause einlegen, in enger Zusammenarbeit mit der EU will Linhart die Corona-Krise bewältigen. Der neue Außenminister bedankt sich beim Parlament, Schallenberg und Kurz für das Vertrauen in ihn.

Blümel beantwortet "Dringliche Anfrage"

Bevor Finanzminister Gernot Blümel die 46 Fragen der "Dringliche Anfrage" an ihn beantwortet, übt er scharfe Kritik an der Opposition. Diese versuche, schwierige Zeiten für sich zu nutzen. Sebastian Kurz habe das Land über seine eigene Person gestellt, nun gehe es darum, an der Aufklärung mitzuarbeiten.

Dann geht der Minister in Windeseile und knapp die Fragen durch, was Mandatar Christoph Matznetter (SPÖ) zu einer wütenden Reaktion veranlasst. Blümel habe auf keine der kritischen Fragen ausreichend geantwortet. Auch deshalb bringt er den Misstrauensantrag gegen den Minister ein. ÖVP-Abgeordnete Gaby Schwarz verteidigt Blümel postwendend, er werde morgen ein solides Budget vorlegen.

Die Misstrauensanträge gegen Finanzminister Blümel und die gesamte Regierung bleiben an diesem Sitzungstag ohne Mehrheit.