Reinhold Mitterlehner will sich zu den jüngsten Chats nicht mehr öffentlich äußern. Er habe ohnehin alles schon gesagt, meint er heute im Telefonat mit der Kleinen Zeitung, wolle nicht Öl ins Feuer gießen, und verweist nur, was er dem Falter, der ihn mit den neuesten Chats vor wenigen Tagen konfrontiert hatte, gesagt hat: „Diese Kommunikation beweist, was ich in meinem Buch ,Haltung’ beschrieben habe: Kurz und seine Vertrauten haben über Monate hinweg intensivst und systematisch den Machtwechsel in der ÖVP vorbereitet, aber immer so getan, als seien sie loyal.“

Den allerjüngsten Chats ist zu entnehmen, dass der enge Kurz-Vertraute und heutige Finanzminister Gernot Blümel bereits im April 2016, also mehr als ein Jahr vor dem Rücktritt von ÖVP-Chef Mitterlehner und der Machtübernahme durch Sebastian Kurz, dem damaligen Sektionschef im Finanzministerium Thomas Schmid geschrieben hat: "Mitterlehner spielt keine Rolle mehr.“  Als sich abgezeichnete, dass das Budget des damaligen Außenministers Kurz trotz Sparkurses angehoben wird, textete Schmid an Blümel:  „Ich habe Sebastians Budget um 35 Prozent erhöht. Scheiße mich jetzt an. Mitterlehner wird flippen. Kurz kann jetzt Geld scheißen.“ Blümel war 2013 von Mitterlehner als ÖVP-Generalsekretär übernommen worden, Blümel zeigte sich damals äußerst dankbar über Mitterlehners Personalentscheidung. In der Süddeutschen Zeitung hatte der ehemalige Parteichef dieser Tage über Kurz und seine Truppe geurteilt: "Es fehlt an Respekt gegenüber demokratischen und rechtlichen Institutionen"

Faymann-Rücktritt warf Pläne über den Haufen

Dass Kurz die ÖVP übernehmen wolle, sei erstmals im Umfeld der innerparteilichen Demontage von SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann im Mai 2016 so richtig ans Tageslicht getreten, schildert Mitterlehner die Ereignisse in seiner Autobiografie "Haltung". Der damalige Außenminister hatte ursprünglich gehofft, dass Faymann im Amt bleibt und die ÖVP mit Kurz als Spitzenkandidat bei den nächsten Nationalratswahlen den Sieg davontragen würde. Faymanns Abgang habe die Kurz-Pläne über den Haufen geworfen, die Angst war groß, dass die SPÖ mit Christian Kern oder Gerhard Zeiler durchstarten und damit das Vorhaben zunichtemachen würde.

Detailliert rekapituliert Mitterlehner in dem Buch die Jahre seiner Vizekanzlerschaft, insbesondere den Machtkampf mit dem damaligen Außenminister. Im Kern wirft Mitterlehner seinem Nachfolger vor, von langer Hand die Übernahme der ÖVP geplant zu haben. „Kurz hatte das Grand Design im Mai 2016 schon im Kopf, das er dann 2017 auch umsetzte.“ Damals wurde schon ein Meinungsforscher beauftragt, um dessen Siegeschancen abzutesten. „Die Studie ergab, dass die ÖVP mit Kurz um 15 Prozent besser abschneiden würde. Mit diesem brisanten Ergebnis klapperte Kurz die Bünde und Parteiobmänner ab, um Unterstützung für Neuwahlen zu suchen.“

Im Potemkinischen Dorf

Beschleunigt wurde die Entmachtung durch den Wechsel an der Spitze der SPÖ von Faymann zu Christian Kern. Im Sommer 2016 soll Kurz laut Mitterlehner bereits bei Unternehmern wegen etwaiger Spenden für einen Wahlkampf vorstellig geworden sein. Auch habe Kurz Geheimverhandlungen mit Irmgard Griss und Matthias Strolz über die Bildung einer breiten Bewegung geführt. Als Kern seinen Plan A im Jänner 2018 in Wels vorgestellt hat, habe sich die Lage zugespitzt. „Die Eskalationsspirale wurde weitergedreht, als hätte es den Relaunch des Regierungsprogramms nie gegeben. Kern und ich sollten einfach keine Erfolge mehr haben.“ Neben Kurz habe der damalige Innenminister und heutige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka federführend die Obstruktionspolitik betrieben. „Ich fühlte mich schon damals als Platzhalter, den man werken ließ, bis man die Stunde der Übernahme für günstig hielt.“  Faktisch habe es in dieser Phase zwei ÖVP-Chefs gegeben, bilanziert Mitterlehner: So kam es dazu, dass Mitterlehner "mehr oder weniger ein Potemkinsches Dorf" führte.