Es ist wahrlich ein Präzedenzfall. Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik musste ein Bundespräsident Zwangsmaßnahmen androhen, weil sich ein Bundesminister über die Aufforderung des Verfassungsgerichtshofs hinweggesetzt hatte. Diesem beispiellosen Akt ging ein monatelanges Tauziehen zwischen dem Ibiza-Ausschuss und Finanzminister Gernot Blümel um Aktenlieferungen voraus.

Konkret hatten die Abgeordneten im Herbst letzten Jahres bereits die Herausgabe des gesamten E-Mailverkehrs von acht Spitzenbeamten im Finanzministerium, darunter des einstigen Generalsekretärs Thomas Schmid, angefordert. Der Ausschuss ist nicht immer ganz lupenreinen Bestellungen und Deals im staatsnahen Bereich wie etwa bei den Casinos Austria (Causa Peter Sidlo) auf der Spur.

Auch Blümel bemüht die Historie, allerdings versteht er darunter etwas  ganz anderes. „Es geht um einen präzedenzlosen Vorfall in der Republik, daher haben wir alle Rechtsmöglichkeiten ausgeschöpft“, so der Finanzminister im Gespräch mit einigen Zeitungen, darunter der Kleinen Zeitung. „Es sind ganze Postfächer angefordert worden. Es sind Daten drinnen, die mit dem Untersuchungsgegenstand nichts zu tun haben wie etwa Informationen über schwere Krankenstände, Anträge um Pflegeurlaub wegen Schicksalsschlägen in der Familie, psychische Gutachten.“ 

Vehement widerspricht Blümel der Vermutung, er habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Herausgabe der Akten über den 15. Juli hinaus, wenn der U-Ausschuss Geschichte ist, zu verschleppen, weil sich womöglich Brisantes in den Schmid-Mails finde. „Ich sehe es als meine Aufgabe als Ressortchef an, Gesundheitsdaten von Mitarbeitern nicht einfach dem U-Ausschuss zu übergeben, ohne dass sie geschützt sind.“ Aus unserer Sicht habe das Ministerium bereits „vor dieser Lieferung alle relevanten Daten geliefert.“

65.000 Seiten dem U-Ausschuss angeliefert

65.000 Seiten wurde letzten Woche dem U-Ausschuss überliefert, darunter, wie in Erfahrung zu bringen ist, etwa ein Artikel  der Kleinen Zeitung vom 22. November 2019, in dem über Chat-Protokolle von Thomas Schmid mit Novomatic-Chef Harald Neumann berichtet wird. Quelle des Artikels: Das am Vortag erschienene „Profil.“ Warum der Artikel als geheim eingestuft wird, bleibt rätselhaft.

Blümel ganz allgemein: „Aus unserer Sicht haben wir bereits vor dieser Lieferung alle relevanten Daten geliefert, deshalb wurden die neuen Unterlagen nicht kategorisiert. Wir haben gehofft, dass wir uns im Zuge eines Vermittlungsverfahrens mit den Abgeordneten einigen werden.“ 

Zum Vorwurf, die Missachtung des Höchstgerichts stehe im Widerspruch zum neuen Stil, den die türkise ÖVP für sich beanspruche, meint der enge Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz: "Wenn der Eindruck entstanden ist, dann tut mir das leid. Mir mangelnden Respekt vor der Verfassung vorzuwerfen, das schmerzt mich. Das ist von meiner Denkwelt so weit weg. Ich habe vielleicht bei diesem eigentlich juristischen Thema zu wenig auf die Außenwirkung geachtet. Ich entschuldige mich aufrichtig.“

Einschüchterungsversuche des Finanzministeriums gegenüber der katholischen Kirche, weil diese mitunter scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik der ÖVP geübt habe, stellt Blümel ebenso in Abrede: „Ich bin gläubiger Katholik, aber auch türkiser Politiker. Manchmal haben wir eine ähnliche Meinung mit der Kirche, manchmal nicht. Als Finanzminister sitzt man meistens am anderen Ende vom Tisch, und der andere will immer etwas anders, das ist auch mit den meisten Ressorts so. Der Finanzminister hat immer eine andere Rolle.“ 

Und zum Schluss rechnet Blümel einmal mehr mit dem U-Ausschuss ab:  „Mit der zuständigen Justizbehörde, die für die rechtliche Aufklärung zuständig ist, läuft es professioneller ab als im U-Ausschuss. Man ist dort als Auskunftsperson wesentlich bereiter, zu kooperieren als es im U-Ausschuss in einer aufgeheizten Stimmung  der Fall ist. Es ist eine eigene Art von Kultur, die nicht immer der tatsächlichen Aufklärung dient." Faktum sei, dass es einigen Abgeordneten "nicht um die Aufklärung, sondern um die Skandalisierung und die eigene Profilierung geht.“