Wundersames tut sich nicht nur in der Koalition, wo infolge der Causa Blümel die ÖVP in den letzten Wochen über ihren Schatten gesprungen ist und nun Positionen einnimmt, die vor kurzem noch undenkbar schienen: den unabhängigen Bundesstaatsanwalt, die unabhängige Glücksspielbehörde, die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, die Reform der Parteifinanzierung wie auch des Insolvenzrechts, das Einfrieren von Mieten. Zugegeben: Der Teufel steckt im Detail, alles kann noch so verwässert werden, dass im schlimmsten Fall am Ende nur noch die schöne Ankündigung übrig bleibt. So mächtig, so einflussreich waren die Grünen seit Koalitionsbeginn noch nie wie in den letzten Wochen. Ohne viel Aufhebens konnte Sektionschef Christian Pilnacek suspendiert werden - man erinnere sich an den Wirbel, als dieser von Justizministerin Alma Zadic entmachtet wurde. Freilich: Sobald sich die ÖVP wieder erholt hat, wird die Machtbalance wieder in die andere Richtung ausschlagen.

SPÖ-Länder ätzen über "starres Schielen auf Zahlen"

Innerhalb der SPÖ wird Parteichefin Pamela Rendi-Wagner in Sachen Corona zunehmend zur Einzelkämpferin. Während Burgenlands Landeschef Hans-Peter Doskozil einen Plan-B einfordert, um aus dem ewigen Kreislauf aus Lockdown  und Lockerungen herauszukommen,  Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker von Öffnungen zumindest  unter der Woche träumt und neuerdings die Schanigärten aufsperren will, Kärnten dem „starren Schielen auf Zahlen“ eine Absage erteilt und wohl auch wahlkampfbedingt keinen Handlungsbedarf im Corona-Hotspot Hermagor sieht, hat sich die SPÖ-Chefin im Vorfeld des für Montag anberaumten Corona-Gipfels im Kanzleramt einmal mehr vehement gegen weitere Öffnungen ausgesprochen. „Das wäre eine Kapitulation vor dem Virus“, erklärt die Epidemiologin. Mit dem reinen Testen, wie von ihren Parteifreunden im Burgenland oder Kärnten gefordert, sei die Lage nicht mehr in den Griff zu bekommen. Alles andere als die Fortsetzung des Status quo sei unverantwortlich. Die Expertin hatte bereits die jüngsten Öffnungen im Handel dezidiert abgelehnt.

Vorreiterin bei den Corona-Maßnahmen

Rendi-Wagner sieht sich selbst als Vorkämpferin, die unbeirrbar von parteipolitischen Überlegungen den Weg der Vernunft geht und sich keinem Druck beugt. Tatsächlich war die SPÖ-Chefin Vorreiterin bei den  Wohnzimmertests, den wöchentlichen Tests für Lehrer, den flächendeckenden Antigentest oder etwa auch der  Einführung der Maskenpflicht  in Supermärkten  - allesamt Maßnahmen, die von der Regierung übernommen und umgesetzt worden sind. Das Verhältnis zu Kanzler Sebastian Kurz ist hingegen wieder erkaltet, Rendi-Wagner macht ihm den Vorwurf, schon bei der letzten Öffnung dem Druck der Wirtschaft nachgegeben zu haben.

Expertenwissen im Weg?

Noch in Erinnerung ist die wenig schmeichelhafte Aussage des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig über die Parteichefin in einem Interview in der Presse zu Silvester. "Ihr steht das Expertenwissen im Weg, was die Oppositionspolitik betrifft". Sie gehe "rational und vernünftig" an die Sachen heran, das erschwere ihr Bemühen, "ein Profil als Oppositionspolitiker zu erlangen." Seit Ausbruch der Pandemie fällt jedenfalls auf, dass alle Länder, egal ob rot, schwarz oder türkis regiert, immer sehr schnell mit Forderungen nach Lockerungen und Öffnungen zur Stelle sind, unbequeme Verschärfungen von sich aufweisen und auf den Bund abwälzen.

Heute ist ÖGB-Chef Wolfgang Katzian Gast in der ORF-Pressestunde. Man darf gespannt, ob er der unbeugsamen Position seiner Parteifreundin folgt und sich gegen Lockerungen ausspricht oder ob er für Öffnungen plädiert.