­Wir sind jetzt alle auf Signal. In den EU-Institutionen wollten sie nicht länger über WhatsApp kommunizieren, das hat natürlich nichts mit Österreich und irgendwelchen Chats zu tun, sondern eher generell mit Datenfluss und -sicherheit. Telegram oder TikTok sind angeblich ziemlich angesagt, aber bei der EU findet man das nicht so ideal. Also Signal. In der Gruppe des Europäischen Rats, über die die Kommunikation der Gipfeltreffen läuft, sind im Augenblick schon 545 Journalisten und es geht zu wie im Kindergarten, wenn eine neue Lego-Lieferung gekommen ist. Ununterbrochen piepsts und klingelts, von „Test-1-2-3“ bis zu seichten Witzen reicht das Portfolio. Gestern war eine Stunde lang helle Aufregung, weil nicht klar war, was genau Ursula von der Leyen wann wem über die vorläufige Einigung im Flugzeugstreit mit den USA gesagt hatte, dabei war das schon in der Früh über die Agenturen gelaufen. Zum Glück haben wir bei der Tageszeitung immer einen Tag Zeit, wie der Name schon sagt, und müssen nicht permanent Eilt-Meldungen durchkabeln. Und damit in permanenter Signal-Aufgeregtheit sein.

Die Aufregung hatte aber einen Hintergrund. Nach und nach öffnen die EU-Institutionen ihre Gebäude nun doch wieder für Journalisten, was an sich sehr erfreulich ist. Nach und nach bedeutet aber: nur ein Teil kann rein, nicht alle. Wer darf also rein und wer muss draußen bleiben? Wer erfährt was aus erster Hand und wer muss im Homeoffice auf die Brocken warten, die abfallen? Beim Besuch des amerikanischen Präsidenten war es gleich noch komplizierter, der hatte einen eigenen Media-Pool dabei und folglich musste das auch noch koordiniert werden. Man entschied sich, vor allem Agenturjournalisten ins Gebäude zu lassen, wegen der Breitenwirkung, und dann noch einzelne wichtige Menschen von wichtigen Medien aus wichtigen Ländern. Ich war nicht dabei, aber ich habe mich darüber auch nicht so aufgeregt wie einige andere, die den Signal-Chat mit Empörung fluteten. Irgendwann fragte dann ein merklich genervter Sprecher aus dem Team von Ratspräsident Charles Michel um Vorschläge, wie man es beim nächsten Mal besser machen könnte und ein italienischer Kollege, der im Übrigen bei ausnahmslos jedem Pressetermin ausnahmslos immer Fragen stellt und ausnahmslos immer zum Zug kommt sagte: „First come, first served“ – wer sich zuerst meldet, kommt rein.

Das Prinzip ist ein wenig archaisch. Ich würde mich dann vielleicht gleich für den nächsten Gipfel (kommende Woche) und für die 100 folgenden anmelden, man weiß ja nie. Das erinnert mich an einen sinnigen Spruch über Kirchgänger, das Internet schreibt ihn dem legendären Pöllauer Pfarrer Raimund Ochabauer zu, vielleicht hat ihn der „steirische Don Camillo“ aber auch selbst nur übernommen. Er geht so: „Waunn olle in die Kirchn einigangatn, gangaten net olle eini, aber wal net olle einigengan, gengan olle eini.“ Sofern man mir jetzt bei diesem Ausflug in die oststeirische Mundart folgen konnte: Rat und Kommission werden auch diese Aufgabe lösen, wenn nicht jetzt, dann irgendwann.

Irgendwann werden wir auch die Migrationsfrage in der EU gelöst haben, irgendwann in weiter Ferne. Am Mittwoch war ja Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Dänemark, er erkundigte sich dort beim Migrationsminister Mattias Tesfaye, wie das in Dänemark nun läuft mit der Errichtung von Asylzentren in Drittstaaten und mit der dortigen Rückführungsagentur. Das Land hat inzwischen auch begonnen, syrischen Flüchtlingen die temporären Aufenthaltstitel zu entziehen. Letzte Woche, als Nehammer beim Innenministerrat in Luxemburg war, haben wir mit ihm über all das gesprochen und er meinte, es gebe inzwischen unter den EU-Ländern eine sehr offene und „ohne Schnörkel“ geführte Diskussion über Asylwesen und Migration. Das Thema Rückführungen würde alle EU-Länder gleich belasten.

Dänemark ist ein ganz besonderer Fall. Das Land fährt einen besonders harten Kurs beim Thema Flucht und Migration – das ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil das Land sozialdemokratisch regiert wird. Allerdings haben sich die Dänen vor Jahren schon einen Sonderstatus mit der EU ausgehandelt, ein Schlupfloch gewissermaßen, das ihnen hier entgegenkommt. Diese „opt-out“-Möglichkeit ist ein Zugeständnis aus dem Jahr 1992, als sich die Dänen zunächst gegen den Maastricht-Vertrag entschieden hatten. Seither dürfen sie in gewissem Rahmen ihr eigenes Süppchen kochen; bei Sicherheit und Verteidigung, Polizei und Justiz, im Bereich der Staatsbürgerschaft und bei der Währung – bei den Dänen regiert die Krone und nicht der Euro.

Migrationsminister Mattias Tesfaye stellte trocken fest, „das europäische Asylsystem ist kaputt." Tesfaye ist auch Sozialdemokrat, sein Vater kam dereinst selbst als Flüchtling aus Äthiopien nach Dänemark. Staatsbürgerschaft müsse am Ende der Integration stehen, nicht am Anfang, meint er zu den Vorschlägen seiner österreichischen Schwesterpartei. Meine Kollegin Christina Traar hat Karl Nehammer auf dieser Reise begleitet; über die Details dieser erstaunlichen Positionierung eines Landes, über das wir vieles nicht zu wissen scheinen, berichtet sie hier.


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