Was in Österreich und einigen anderen EU-Ländern noch im Mai in die Startphase gehen soll – nationale Vorläufer des „Covid-Zertifikats“ vulgo „Grüner Pass“ – ist auf EU-Ebene zwar ebenfalls auf Schiene, dort sind neben den technischen Grundlagen aber die realen Folgen ungleich komplexer. Deshalb kam das Thema am eigentlich (wie der Name sagt) anderen Schwerpunkten gewidmeten Sozialgipfel in Porto wieder auf die Agenda und soll nun endgültig beim Sondergipfel am 25. Mai finalisiert werden.

Die Reisefreiheit hat in der Tat eine wesentliche soziale Komponente: „Das ist nicht nur für jeden einzelnen von uns wichtig, das ist in Österreich entscheidend für Tourismus, Gastronomie, Kultur, Sport usw. Da gibt es sehr viele Jobs, die davon abhängen“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei seiner Gipfel-Bilanz in Porto. „Was ist denn die Basis für einen starken Sozialstaat? Das kann ja nur ein starker Wirtschaftsstandort sein.“ Reisetätigkeit sei eine wesentliche Säule. Es sei beim Gipfel ein wichtiger Schritt gelungen, der Druck der Bevölkerung in jenen Ländern, in denen das Zertifikat nicht voranschreitet, werde immer größer: „Die Menschen wollen wieder reisen.“ Das gelte vor allem für Länder, die bisher Bedenken höheres Gewicht geschenkt haben. Jene EU-Länder, die schon in den Startlöchern sind, wären laut Kurz bereit, auf bilaterale Abkommen zu setzen, wenn es keine gemeinsame Lösung gibt – insbesondere Österreich.

Arbeitsminister Martin Kocher, der den Kanzler begleitete, präzisierte die Hintergründe: „Tourismusländer wie Österreich wollen rascher vorankommen, andere aus Sicherheitsüberlegungen langsamer.“ Die Folgen sind durchaus gravierend. Kurz: „Kommt der Pass, müssen die Quarantänebestimmungen abgeschafft werden und wir brauchen einheitliche Standards für die nötigen Dokumente.“ Nachsatz: „Das ist keine Atomphysik.“ Österreichs Anteil an den am Samstag von der EU-Kommission endgültig bestellten Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Dosen Biontech-Pfizer bis 2023 werde genau dem Bevölkerungsschlüssel entsprechen, so Kurz.

Zögern bei den Impfstoff-Patenten

Nur zögerlich beschäftigt sich die EU mit einer Freigabe der Impf-Patente, nachdem ein entsprechender Vorschlag von den USA gekommen und von zahlreichen internationalen Organisationen unterstützt worden war. "Wir denken nicht, dass das kurzfristig eine Wunderlösung ist", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am Samstag. Man sei aber bereit, über das Thema zu diskutieren, sobald ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch liege, sagte Michel. Noch einmal verwiesen wurde darauf, dass die EU im Gegensatz zu anderen bereits rund 200 Millionen Dosen anderen Ländern zur Verfügung gestellt habe, das Problem liege nicht an den Patenten, sondern an Produktionskapazitäten, Know-how und Rohstoffnachschub.

Mit dem schwer getroffenen Indien verständigte sich die EU auf Unterstützung und stärkere Zusammenarbeit, der indische Ministerpräsident Narendra Modiwar war in Porto per Video zugeschaltet. 17 EU-Länder hätten schon medizinische Güter im Wert von rund 100 Millionen Euro an Indien geschickt, weitere kämen bald hinzu, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Soziale Ziele der EU in der "Erklärung von Porto"

Konkretes Ergebnis des Sozialgipfels ist eine gemeinsame Erklärung, in der Ziele für das laufende Jahrzehnt festgelegt werden. So soll eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent in der EU erreicht werden. Mindestens 60 Prozent der Erwachsenen sollen jährlich Fortbildungskurse belegen und die Zahl der Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, soll um mindestens 15 Millionen reduziert werden. Andere Passagen des Papiers sind vorsichtiger formuliert; so legen die Länder mehrfach Wert darauf, die Vorgaben „unter gebührender Beachtung der jeweiligen Zuständigkeiten sowie der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ umzusetzen.

Zwar gibt es weiterhin Kritik an der Vereinbarung, aber das Gipfelergebnis wird allgemein doch als Erfolg gefeiert. Auch Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sprach am Samstag lobende Worte. Das Ergebnis des Gipfels könne "sich durchaus sehen lassen", so Mückstein, der am Tag davor wegen Österreichs Position zu einem EU-weit geregelten Mindestlohn noch auf Gegenkurs zu Kanzler Kurz war.