Es ist noch nicht lange her, da war Italiens Stand im europäischen Gefüge klar umrissen. Das Gründungsmitglied der Union galt neben Deutschland, Frankreich und Großbritannien als eine der tragenden Säulen, auf höchster Ebene hatten Italiener das Sagen: Antonio Tajani als Parlamentspräsident, Federica Mogherini als Hohe Außenbeauftragte, Mario Draghi als EZB-Chef.

Im EU-Parlament folgte mit David Sassoli immerhin ein Landsmann nach, die anderen Jobs gingen für Italien verloren – dass Paolo Gentiloni das wichtige Wirtschaftsressort in der Kommission übernehmen konnte, war da bloß noch ein Zugeständnis. Die Briten sind nun weg, Deutschland und Frankreich scheinen die Zügel wieder fest in der Hand zu haben; Italien, wirtschaftlich und infolge der Pandemie stark angeschlagen, findet sich in einer geschwächten Position wieder. Kann Draghi das ändern?

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der 73-Jährige, der irgendwann den Beinamen „Super Mario“ erhielt, aufgrund seiner früheren Tätigkeit in den Brüsseler Zirkeln hoch angesehen ist. Ein mehrjähriges Gastspiel in der Führungsetage von Goldmann Sachs tat dem keinen Abbruch. Schon als Chef der italienischen Zentralbank verschaffte er sich und damit seinem Land Ansehen, die acht Jahre (2011 bis 2019) an der Spitze der europäischen Zentralbank manifestierten das – obgleich seine Finanzpolitik auch auf viele Gegenstimmen stieß. Draghi prägte den Satz „Koste es, was es wolle“ („whatever it takes“), als es 2012 um die Euro-Rettung ging. Die EZB überflutete den Markt mit riesigen Geldsummen, unter seiner Ägide kam es zum Nullzinssatz.

Es kann als kleiner Treppenwitz der Geschichte betrachtet werden, dass der einstige EZB-Chef gerade jetzt Regierungschef seines Heimatlandes wurde – ist doch die Regierung Conte ausgerechnet am Streit um die Verteilung der EU-Hilfsgelder zerschellt. Italien bekommt von allen Ländern den höchsten Betrag, bis zu 209 Milliarden Euro, aus dem vergangene Woche endgültig beschlossenen Recoveryfonds. Bis Ende April müssen die Projekte eingereicht sein, das wird der Lackmustest für Draghi. In seiner alten Funktion hatte er sich immer wieder für Sparreformen in Italien ausgesprochen und für einen weniger lockeren Umgang mit den Mitteln. Dabei geht es etwa um das flexible Pensionsantrittsalter; in diesem Punkt dürfte der neue Regierungschef eher auf der strengeren EU-Linie sein, macht sich damit aber Feinde im rechten Lager, das damit auf Stimmenfang gegangen war.

EU-Gelder sollen den Aufschwung bringen

Italien wartet dringend auf die EU-Gelder, hat sich auch einen wesentlichen Anteil am mit 100 Milliarden Euro dotierten Kurzarbeitsprogramm „Sure“ gesichert. So wie andere Länder auch will das Land aber ein Anzapfen der ESM-Mittel vermeiden, die schon davor bereitgestanden wären. Der „europäische Rettungsschirm“ (Europäischer Stabilitätsmechanismus) wird argwöhnisch betrachtet, weil die Länder nicht wollen, dass sich die „griechische Tragödie“ wiederholt. Man würde sich über diese Finanzmittel der Gefahr aussetzen, dass man sich eine Troika ins Land holt, Kontrolleure und Pfennigfuchser von Währungsfonds, EZB und Kommission. Italien unter der Fuchtel der EU: Das wäre Wasser auf die Mühlen der Populisten, ob sie nun in der wankelmütigen Fünf-Sterne-Bewegung sitzen oder in Salvinis Lega. Zunächst aber ist es dem neuen Premier gelungen, einen wesentlichen Teil der Euroskeptiker auf seinen neuen Weg einzustimmen.

Draghi weiß das und er kann zum Start auf Rückhalt in der EU bauen. Dort gilt er als „echter Europäer“, wie es der deutsche Finanzminister Olaf Scholz am Montag ausdrückte. In Italien habe sich wieder eine pro-europäische Regierung formiert, freute sich Scholz: „Draghi ist Experte in Fiskalpolitik und international bestens vernetzt“, so Scholz, der auch davon überzeugt ist, dass Rom nun schnellstens das Reformpaket für den Einsatz des Recoveryinstruments erarbeiten werde. Tatsächlich hat Draghi schon umrissen, dass ihm die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und die Stärkung der Infrastruktur ein Grundanliegen ist; genau das passt ins geforderte Schema des „Green Deal“ und des Digitalisierungsschubs. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte umgehend davon geschwärmt, Draghis langjährige Erfahrungen würden ein „außergewöhnlicher Gewinn für Italien und ganz Europa“ sein.

Im Visier der "Frugalen"

In der Tat muss Italien nicht nur im Inneren, sondern auch in der Außenwirkung einiges aufholen. Nur allzu präsent ist der vier quälende Tage dauernde EU-Budgetgipfel im vergangenen Juli, bei dem das Wiederaufbaupaket geschnürt wurde. Eines der Hauptargumente der Bremser – allen voran die „frugalen Vier“ mit Österreich im Mittelpunkt – war die Befürchtung, die erstmalige Aufnahme von Schulden durch die EU würde früher oder später auf eine Vergemeinschaftung der alten Staatsschulden von Mitgliedsländern hinauslaufen. Explizit wurde Italien genannt; dieser Bruch, der die Linien zwischen dem „reichen Norden“ und dem „armen Süden“ markiert, ist noch nicht verheilt.

Das Schicksal Italiens ist eng mit dem Schicksal der EU verknüpft. Die Zeitung „La Repubblica“ sah die Personalie schon mal in glänzender Perspektive: „Merkel, Macron und von der Leyen hätten sich auch Draghi ausgesucht.“  Ihm sei zuzutrauen, dass er nun jene Reformen auf Kurs bringt, die dem Land den so nötigen Aufschwung und der EU eine Sorge weniger einbringt.