Neulich, bei einem Gespräch mit ausländischen Korrespondenten, machte Mara Carfagna kein Hehl daraus, wie sie die Sache mit Italiens Süden sieht. „Im Süden geboren zu werden“, sagte die 45 Jahre alte Ministerin, „ist eine Art Ursünde“. Carfagna selbst stammt aus Salerno bei Neapel, sie hat es weit gebracht, seit Februar amtiert sie als Ministerin für den Süden in der Regierung von Premier Mario Draghi in Italien. Der Süden ist der chronische Patient im Land, Mezzogiorno wird er genannt. Hier verdichten sich seit Jahrzehnten alle Probleme Italiens, mangelndes Wirtschaftswachstum, mangelnde Dienstleistungen, organisierte Kriminalität, die sich als Nebenstaat versteht und Emigration, vor allem der Jüngeren. Die aktuelle politische Phase ist deshalb von großer Bedeutung, denn der von der EU genehmigte Geldregen in Folge der Corona-Pandemie soll insbesondere Italiens Süden zugute kommen. Mara Carfagna, die einst als Schönheitskönigin und TV-Moderatorin begann, ist sozusagen die Personifikation dieser Ambition. 

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Ihr Ministerium hat einen Werbefilm für Süditalien produzieren lassen, der den wahrhaftig schönen, aber eben auch problematischen italienischen Süden zum irdischen Paradies stilisiert. „Italiens Süden erwartet dich mit Sorge, Sicherheit und Liebe“, heißt es dort. Das ist das kurzfristige Anliegen der Regierung, im zweiten Sommer nach Ausbruch der Pandemie möglichst viele Touristen zurück in den mezzogiorno zu locken. Der Süden wurde von den Einschränkungen in Folge der zweiten Corona-Welle besonders getroffen, nach Schätzungen könnte die Hälfte aller Gastronomiebetriebe vor der Schließung stehen. Die EU-Mittel, die ab Juli nach Italien fließen sollen, sind jedoch für einen strukturellen Wandel gedacht. Carfagna sagt es so: „Der Recovery Plan ist die Grundlage für eine wirtschaftliche Wiedervereinigung unseres Landes.“ Italien ist nach ihrer Sicht ein in Nord und Süd zweigeteiltes Land.

Carfagna und Berlusconi
Carfagna und Berlusconi © AP

Italien zeigte sich bereits vor 75 Jahren als ein gespaltenes Land. Vor Tagen wurde der 2. Juni als Nationalfeiertag begangen, der Tag der Republik. Am 2. und 3. Juni 1946 entschieden sich die Italiener und erstmals auch die Italienerinnen in einem Referendum zwischen Republik und Monarchie. Bekanntlich gewann die Republik (mit nur 54 Prozent der Stimmen gegenüber 46 Prozent derjenigen, die die Monarchie beibehalten wollten). In Süditalien jedoch waren die Monarchisten in großer Mehrheit. Bis heute hinkt der Süden in vielerlei Hinsicht hinterher, die EU-Milliarden sollen dem nun ein Ende bereiten. „Der Süden hat eine historische Chance“, sagt Carfagna. 191 Milliarden Euro sollen aus dem Recovery Fund für Italien bereit gestellt werden, 40 Prozent dieser Mittel sind für Italiens Süden bestimmt. Die Ministerin listet auf, in welche Bereiche das Geld fließen soll: „Breitband-Internet überall, mehr als 50 Prozent der für die ökologische Wende bestimmten Fonds und mehr als 53 Prozent der Gelder für Infrastruktur gehen in den Süden, überall wird es Hochgeschwindigkeitsstrecken für die Bahn geben“, sagt Carfagna.

Mit Michelle Obama
Mit Michelle Obama © EPA

Brückenbau

Auch die süditalienischen Häfen sollen mit 1,2 Milliarden Euro ausgebaut und verbessert werden, brandaktuell ist auch wieder der Bau einer Brücke, die Sizilien mit dem Festland verbinden soll. Die Brücke soll Sizilien wirtschaftlich anbinden, ihr Bau selbst aber auch Wachstum generieren. Das umstrittene Projekt war ein Lieblingsthemas des ehemaligen Premierministers Silvio Berlusconi, dem Carfagna ihre politische Karriere verdankt. Die Einser-Juristin begann ihre Fernsehkarriere im Berlusconi-Konzern Mediaset, 2004 startete ihr Engagement in der Berlusconi-Partei Forza Italia, 2006 kandidierte sie als Abgeordnete und zog auf Anhieb ins Parlament ein. Zwei Jahre später nominierte Berlusconi sie als Ministerin für Gleichberechtigung. Berlusconi war auch Trauzeuge ihrer ersten, geschiedenen Ehe. „Wenn ich nicht schon verheiratet wäre, würde ich sie sofort heiraten“, sagte der heute 84-Jährige Forza-Italia-Chef und löste einen nationalen Skandal aus. Heute ist Carfagna eine der angesehensten Politikerinnen im konservativen Spektrum.

Carfagna mit Gaddafi
Carfagna mit Gaddafi © EPA

Wer sie auf die Gefahr hinweist, dass die Hilfsgelder in dunklen, kriminellen Kanälen versickern könnten, dem versichert Carfagna, die Antimafia-Gesetzgebung und der Einsatz von Ermittlern und Polizei seien herausragend. Man solle sich da keine Sorgen machen. Problematischer ist auch nach ihrer Ansicht die chronische Schwäche Italiens und insbesondere Süditaliens, Hilfsgelder sinnvoll und nachhaltig auszugeben. Insbesondere im mezzogiorno fehlte vor Ort oft das Know-How. Auch deswegen gab Italien bis 2020 nur 40 Prozent der bereit gestellten EU-Strukturfonds aus. „Die wahre Herausforderung ist, die Gelder gut zu verwenden“, sagt die Ministerin. Vor Tagen beschloss die Regierung Draghi deshalb eine Job-Offensive. 1000 Experten, darunter Ingenieure und Juristen, sollen bald vor Ort eingestellt werden, 350 „Supertechniker“ sollen den Fortgang der Projekte von Rom aus kontrollieren, um den Geldfluss sicherzustellen. Denn der ist an die Einzelprojekte und ihre Verwirklichung nach Zeitplan gebunden. Wenn alles gut geht, sollen im Sommer die ersten 25 Milliarden nach Italien fließen.

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