In zehn Tagen wird gewählt. Vor wenigen Wochen galt Ihr Kandidat Armin Laschet als sicherer Gewinner – doch jetzt liegt Olaf Scholz von der SPD voran. Wer wird Kanzler?

VOLKER BOUFFIER: Wir haben einen Bundestagswahlkampf, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Wir haben uns alle getäuscht, auch die Medien. Alle dachten, es wird eine Auseinandersetzung zwischen Union und den Grünen, die SPD spiele keine Rolle. Dann ging die Kandidatin der Grünen in den Himmel und stürzte gleich darauf wieder ab. Bis Mitte Juli lief für uns, die Union, alles prima. Und plötzlich hat dann Armin Laschet, egal was er macht, nur negative Kommentare erhalten. Ich erwarte, dass es sehr knapp wird zwischen CDU/CSU und der SPD auf der anderen Seite. Wir haben noch eine ganze Reihe Unentschiedener.

Sie haben für Armin Laschet die Kanzlerkandidatur erkämpft, obwohl an der Basis viele CSU-Chef Markus Söder als Kandidaten wollten. Haben Sie das schon manchmal bereut?

Beide hätten das gut machen können. Sie müssen einfach sehen: Die CDU ist mit Abstand die größere Partei. Da gibt es eine gewisse Natürlichkeit, dass man sagt, der Vorsitzende der CDU ist auch der Kanzlerkandidat. Und wir hatten eine Abstimmung im Vorstand, die war vergleichsweise klar. Markus Söder ist einer, der sehr selbstbewusst auftritt. Armin Laschet ist eher jemand, der die Chance wahrnimmt, die Menschen zusammenzuführen. Er regiert in Nordrhein-Westfalen mit der FDP, das ist ein Land mit 18 Millionen Einwohnern, und Laschet ist da ein sehr erfolgreicher Regierungschef. Frau Baerbock hat gar keine Erfahrung, Scholz war nie ein Regierungschef. Aber ich mache mir keine Illusionen: In einem Wahlkampf, der immer stärker auch über soziale Medien geht, spielen die Personen und der Eindruck, den sie hinterlassen, eine immer größere Rolle. Wir müssen jetzt schauen, dass wir diese Tage nutzen, um noch viele Menschen zu erreichen und ihnen zu sagen: Es geht nicht darum, wer der Schönste ist oder wer am schönsten lächeln kann – es geht um Inhalte.

Haben nicht auch CDU/CSU in den letzten 16 Jahren stark personalisiert – mit Angela Merkel, der „Mutti“?

Wir haben derzeit eine Situation, die wir so noch nie hatten. Immer ist entweder die Amtsinhaberin oder der Amtsinhaber selbst angetreten und hat gesagt: „Wir haben das großartig gemacht, wählt mich!“ Oder die Kandidaten kamen aus der Opposition und sagten: „Die anderen haben das schlecht gemacht, wählt uns!“ Jetzt sind wir in der Situation, dass wir seit 16 Jahren regieren, aber die Amtsinhaberin hört auf. Das führt ja gerade zu dem irren Befund, dass die Leute sagen: „Merkel kennen wir, wir hätten gerne weiter ein bisschen Sicherheit.“ Dann kommt der SPD-Mensch, der bisher eigentlich wenig interessiert hat, macht Bilder mit der Raute und sagt: „Ich bin irgendwie so etwas wie Angela Merkel.“
Ärgert Sie das, dass sich Olaf Scholz als legitimer Nachfolger der Kanzlerin präsentiert und Merkel in seinem Auftreten kopiert?
Das ärgert mich nicht, aus seiner Sicht ist das ganz geschickt. Aber dem muss man entgegenhalten, dass er alles, was gut gelaufen ist, versucht, für sich zu verbuchen; bei allem, was nicht gut gelaufen ist, zum Beispiel Wirecard, da war er dann nicht dabei.

Kann es sein, dass in Deutschland nach 16 Jahren Merkel eine Art Wendestimmung herrscht?

Ja, die Menschen merken, dass es viele Herausforderungen gibt, und wünschen sich etwas Neues, das ist schon richtig. Aber zugleich möchten wir alle, dass unser gutes Leben im Großen und Ganzen weitergeht wie bisher. Dafür gibt es eine wunderbare Metapher: Angela Merkel hat 2013 den Wahlkampf im Wesentlichen mit der Aussage bestritten „Sie kennen mich“ – und einen Wahlerfolg erzielt. Sie verfügt immer noch über das größte Vertrauen in der Bevölkerung. Die Menschen spüren jetzt den Transformationsprozess, aber sie wollen auch Kontinuität. Darauf setzt Olaf Scholz. Nach dem Motto: „Wenn ihr mich wählt, habt ihr so etwas Ähnliches wie Merkel II.“ Das ist politische Erbschleicherei.

Was ist die Geheimwaffe der Union? Dass Merkel zwei Wochen vor der Wahl sagt, sie stehe noch einmal für ein paar Jahre Kanzlerschaft zur Verfügung?

Das wäre sicher eine grandiose Schlagzeile, aber ich kenne Angela Merkel gut und schließe das aus.

Armin Laschet hat schon kundgetan, dass er sich eine Koalition der Union mit der FDP wünschen würde. Nach den jüngsten Umfragen ist das ausgeschlossen, das wird sich nicht ausgehen. Welche Varianten würde es aus Ihrer Sicht dann noch geben? Union – FDP – Grüne? Dass er nicht als Juniorpartner in eine Koalition mit der SPD gehen möchte, hat Laschet ja schon festgelegt.

Wir sollten erst einmal schauen, was bei der Wahl rauskommt. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass ein Zweierbündnis reicht. Also braucht man drei. Das ist anspruchsvoll, unter jedem Gesichtspunkt. Die Grünen sind im Bund seit 2005 in der Opposition – sie wollen unbedingt regieren. Ich glaube, die Koalitionsbildung wird sehr stark von der Entscheidung der FDP abhängen. Die kann in beide Richtungen ausfallen. Wir haben in Deutschland ja nicht die Tradition, dass die stärkste Partei den Kanzler stellt. Da ist alles offen. Armin Laschet ist derjenige, der am besten zusammenführen kann. Politikfähig sind Sie nur, wenn Sie kompromissfähig sind. Diese Welt wird neu geordnet, von den Vereinigten Staaten und von China. Russland. Die Migrationskrise: Afrika, Nordafrika, der Nahe Osten – alles vor unserer Tür. Da ist ziemlich egal, was jemand in den Koalitionsvertrag reinschreibt. Da braucht man Gemeinschaftsgeist.