Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wollen sich auf dem G20-Gipfel in Rom zu ehrgeizigeren Klimazielen bekennen, geht aus der Abschlusserklärung hervor. Es wird betont, dass es von "zentraler Bedeutung ist, bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts weltweit Netto-Null-Treibhausgasemissionen oder Kohlenstoffneutralität zu erreichen". Die Staaten wollen sich zudem im Grundsatz hinter das 1,5-Grad-Ziel stellen. Die Nennung klarer Zieldaten blieb allerdings weitgehend aus.

UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich enttäuscht: "Ich verlasse Rom mit unerfüllten Hoffnungen - aber wenigstens sind sie nicht beerdigt", schrieb Guterres am Sonntag auf Twitter. Nun gehe es bei der Weltklimakonferenz in Glasgow darum, das "1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten".

"Der G20-Gipfel hätte eine Steilvorlage für die UN-Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow werden müssen", sagte Klimaexperte Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam. "Das ist nicht gelungen." Die G20 habe es versäumt, die Unzulänglichkeit ihrer Selbstverpflichtungen unter dem Pariser Abkommen anzuerkennen und sich zur "dringend notwendigen, sofortigen Nachbesserung" zu verpflichten.

Die Welt steuert auf 2,7 Grad zu

"Auch Deutschland und die Europäische Union sind nach wie vor nicht bereit, ihren fairen Anteil zu leisten", beklagte Kowalzig. So steuere die Welt derzeit auf eine katastrophale Erwärmung um 2,7 Grad zu, obwohl maximal 1,5 Grad als kritische Schwelle gilt. Es dürfe nicht erst in fünf Jahren nachgebessert werden. "Der Planet brennt - den Luxus für weitere Verzögerungen haben wir schlichtweg nicht."

In der Abschlusserklärung bekennen sich die G20-Staaten zum Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen - und betonen, dass dafür mehr getan werden müsse. Allerdings gibt es keine Einigung mehr auf "sofortiges Handeln", wie es in einem anfänglichen Entwurf noch geheißen hatte. Jetzt ist weniger dringlich von "bedeutungsvollem und wirksamen Handeln" die Rede. Nur allgemein bekräftigt die G20, dass sie weiter den Zielen des Pariser Abkommens verpflichtet seien. Experten halten aber eine deutliche Nachbesserung der Aktionspläne der einzelnen Länder für erforderlich.

Zudem hätte anfangs konkret das Jahr 2050 für "Netto-Null-Emissionen von Treibhausgasen oder Kohlendioxidneutralität" festgeschrieben werden sollen. Jetzt ist als Ziel nur noch allgemein von "bis oder um die Mitte des Jahrhunderts" die Rede. Damit ist gemeint, dass nur soviel Emissionen ausgestoßen werden wie auch gebunden werden kann. Der Rückzug erfolgte offenbar aus Rücksicht auf China und Russland, die das Ziel erst 2060 anstreben. Indien möchte sich nicht festlegen.

Ein Kohleausstieg wurde nicht direkt erwähnt. Auch die Zusage, die Investitionen in Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen, blieb wenig konkret. Ende des Jahres soll zumindest die internationale öffentliche Finanzierung neuer Kohlekraftwerke enden. Die G20 wollen Entwicklungsländern helfen, "so schnell wie möglich" aus der Kohletechnik auszusteigen. Die Staaten betonen zudem das Ziel, den Entwicklungsländern noch bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen.

Eine Gruppe von Klimaaktivisten besetzte am Sonntag die stark befahrene Straße Via Quattro Novembre, die zur zentralen Piazza Venezia führt. Mit ihrer Protestaktion wollten die Demonstranten der Bewegung "Climate camp" die Gruppe der G20 zu entschlossenerem Handeln im Kampf gegen die Klimakrise bewegen. Schon am Samstag hatten die Aktivisten in Rom demonstriert. Sie blockierten etwa die Verkehrsachse Via Cristoforo Colombo, die zum Kongresszentrum "La Nuvola" führt.

Dem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel waren schwierige Diskussionen voraus gegangen. So rangen die Unterhändler der Mitgliedsstaaten die ganze Nacht um die Details der geplanten gemeinsamen Abschlusserklärung, hieß es zuvor aus Delegationskreisen. Einem früheren Entwurf der Erklärung zufolge konnten sich die Unterhändler bis zum Morgen nicht darauf einigen, das 1,5-Grad-Ziel als gemeinsame Zielsetzung mit aufzunehmen.

Der als Gastredner geladene britische Thronfolger Prinz Charles rief die versammelten Staats- und Regierungschefs zu ambitionierteren Klimazielen auf: Die Chefs der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt trügen eine "erhebliche Verantwortung für die ungeborenen Generationen", sagte Charles. Beim Klimaschutz werden Diskussionen bis zur letzten Minute erwartet.

Appelle

"Einige von uns fragen, warum wir unser Ziel von 2 Grad auf 1,5 Grad verschieben. (...) Weil die Wissenschaft das sagt. Wir müssen auf die Warnungen der weltweiten wissenschaftlichen Gemeinschaft hören, die Klimakrise noch in diesem Jahrzehnt zu bewältigen und das Pariser Abkommen sowie die Agenda für nachhaltige Entwicklung 2030 einzuhalten. Die Umstellung auf saubere Energie ist der Schlüssel zur Erreichung der notwendigen Verringerung der Treibhausgasemissionen", so Draghi. Der Übergang erfordere erhebliche Anstrengungen und die Regierungen müssten bereit sein, ihre Bürger und Unternehmen dabei zu unterstützen. Er biete aber auch "die Möglichkeit, Wachstum anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen und Ungleichheiten abzubauen", sagte der italienische Premier weiter.

Klimaschützer werfen den G20 schon lange vor, nicht genug zu tun, um die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Die Abschlusserklärung von Rom wird dann auch von Umweltschützern und Hilfsorganisationen genau unter die Lupe genommen werden. Trotz wenig ermutigender Formulierungen in Entwürfen für den Abschlusstext hofften NGO-Vertreter noch auf einen Fortschritt in letzter Minute.