Für Joe Biden war es die erste Gelegenheit zu einem Übersee-Auftritt seit seiner Amtsübernahme im Jänner. Und die Ehre des ersten Tages galt dem Vereinigten Königreich.

Noch vor Beginn des G7-Gipfels, zu dem der US-Präsident nach England flog, traf er sich mit Premier Boris Johnson am Konferenzort Carbis Bay in Cornwalls. Nicht nur durfte sich Johnson durch diese Vorzugsbehandlung geschmeichelt fühlen. Biden war auch bereit zu gemeinsamer Zurschaustellung. Er und Johnson fanden sich in Carbis Bay zusammen, um hoch über dem Meer eine „neue Atlantische Charta“ aus der Taufe zu heben.


Die Aktion sollte Reminiszenzen wecken an die ursprüngliche Atlantische Charta, mit der vor achtzig Jahren Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt mitten im Zweiten Weltkrieg eine Neuordnung der Welt anvisierten, die später zur Gründung von UNO und Nato führen sollte. Damals hätten sich Churchill und Roosevelt gefragt, wie sie die Welt nach einem vernichtenden Krieg wieder auf die Beine bekommen könnten, sagte Johnson. Nun hätten es Briten und Amerikaner mit einer „wiewohl anderen, so doch nicht weniger furchterregenden Herausforderung zu tun“.

Eine bessere Welt gestalten


Für Johnson ist das die Fra
ge, wie man nach der Pandemie „den Wiederaufbau einleiten und die Welt besser gestalten“ könne, beiderseits des Atlantik. Schließlich, fügte der Brite an, sei „das Zusammenwirken des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, dieser engsten Partner und großartigsten Verbündeten, ausschlaggebend für die künftige Stabilität und Wohlfahrt der Welt“.

Mit dieser rhetorischen Rahmung des Events glaubte Churchill-Biograf Johnson für „seinen“ Gipfel den richtigen Ton getroffen zu haben.
Für Biden war vor allem wichtig, was sich in der Erklärung fand. Zu den Herausforderungen zählt die Charta unter anderem die globale Klima-Krise und die Gefahr künftiger Pandemien. Internationale Aktion sei in allen diesen Bereichen nötig, bekräftigte Biden, „weil keine einzige Nation mehr im Alleingang mit all den Problemen fertig werden kann, denen wir uns heute gegenüber sehen“. 500 Millionen Dosen Impfstoff, hat Bidens Administration signalisiert, soll an 100 der ärmsten Staaten verteilt werden. Auch im Kampf gegen die Klimakatastrophe, dem der nächste UN-Umweltgipfel im November in Glasgow gewidmet ist, plant Biden, an vorderster Front dabei zu sein.


Sein Erscheinen in Europa, stellte er klar, sollte die Beziehung zu Verbündeten wiederbeleben – und die Trump-Jahre vergessen lassen. „An jedem Punkt“ seines Aufenthalts wolle er deutlich machen, „dass die USA wieder da sind, und dass die Demokratien der Welt gegen alle Herausforderungen zusammen stehen“. Während Russland und China in der Charta ungenannt blieben, ließ das Gewicht auf Sicherheitsfragen und die Warnung vor Cyberattacken wenig Zweifel an der diesbezüglichen Stoßrichtung. Die USA suchten „keinen Konflikt mit Russland“, würden aber „ganz robust“ auf „schädliche Aktivitäten“ reagieren.


Der Gastgeber versicherte pflichtschuldigst, Großbritannien sei sich seiner großen Verantwortung bewusst: Es trage „mehr als irgend ein anderes Land in Europa zur Verteidigung und Sicherheit des Kontinents“ bei. Sein Land sei „die Gürtelschnalle, die alles zusammenhält“, sagte Johnson. Es sei „der Bindestrich, der alles zusammen fügt“. Nicht vergessen ließ Biden Johnson freilich, dass er den Chef-Brexiteer keineswegs für einen „Bindestrich“ hält, sondern eher für einen Spaltpilz in Europa. Laut „Times“ hat Yael Lempert, US-Gesandter in London, Johnson im Namen des Chefs vorgeworfen, er „heize“ auf rücksichtslose Weise die Spannungen in Irland an, statt sich um eine Einigung mit der EU zu bemühen.Der Präsident werde eine Untergrabung des Friedensabkommens auf keinen Fall hinnehmen, hatte Jake Sullivan, Berater für Nationale Sicherheit, versichert.