Nach Wochen der Unruhen in Jerusalem ist die Lage eskaliert und könnte zu einem Krieg zwischen Gaza und Israel ausarten. Mindestens drei Menschen starben am Dienstag bei einem Direkteinschlag von Hamas-Raketen. Im Gazastreifen gebe es 28 Tote, gibt das dortige Gesundheitsministerium an.

Seit Montagnachmittag sind mehr als 250 Raketen und Mörsergranaten von militanten Palästinensern auf Israel geschossen worden. Bei Vergeltungsangriffen habe die Luftwaffe der israelischen Armee rund 140 Stellungen von Terrororganisationen in Gaza beschossen.

130 Raketen auf Tel Aviv, mehrere Tote

Am Dienstagabend eskalierte die Situation noch weiter: Die radikalislamische Hamas hat nach eigenen Angaben am Abend 130 Raketen auf die israelische Großstadt Tel Aviv abgefeuert. Die Hamas erklärte, die Raketenangriffe seien die Antwort auf einen israelischen Luftangriff, bei dem zuvor ein Hochhaus im Gazastreifen zerstört worden war. In Tel Aviv heulten die Alarmsirenen. Es waren die schwersten Raketenangriffen auf Israels Küstenmetropole in jüngster Zeit. Nach Angaben der Rettungsorganisation Zaka starb am Dienstagabend eine Frau in der Stadt Rishon LeZion, bei einer zweiten Angriffswelle in der Nacht auf Mittwoch wurden dann in Lod bei Tel Aviv eine Frau und ein Kind getötet. Im Gegenzug wurden zwei Top-Geheimdienstler der Hamas im Gazastreifen getötet.

Die militanten    Palästinenser im Gazastreifen hatten ihre Raketenangriffe auf Israel ausgeweitet. Im Bild: das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome im Einsatz
Die militanten Palästinenser im Gazastreifen hatten ihre Raketenangriffe auf Israel ausgeweitet. Im Bild: das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome im Einsatz © AFP

„Der Islamische Dschihad und die Hamas sind grausame Organisationen und der Feind Israels. Sie träumen von dem Tag, an dem sie Israel von der Landkarte löschen. Beide werden vom Iran, Hisbollah und anderen religiös-fanatischen Terrorgruppen unterstützt.“ So charakterisiert  Ronni Shaked die Regierung im Gazastreifen. Er ist Leiter der Abteilung Nahost im Harry S. Truman Research Institut for the Advancement of Peace an der Hebräischen Universität Jerusalem.

In den südlichen Gegenden Israels, die an den Gazastreifen angrenzen, schrillen die Sirenen seit mehr als 24 Stunden nahezu pausenlos. Ein Hamas-Sprecher rühmte sich, „in fünf Minuten 137 Raketen“ abgeschossen zu haben. Shaked beschreibt die Menschen, die dort ausharren, als „wahre Helden unseres Landes.“ Darunter seine Tochter und Enkelkinder, die in der Nähe der Grenze wohnen.

War der Konflikt vorherzusehen?

Auf die Frage, ob diese Auseinandersetzung vorauszusehen war, antwortet er: „Aber ja, denn die israelische Regierung tut in Sachen Hamas und Islamischer Dschihad seit mehr als zehn Jahren nichts. Premier Benjamin Netanyahu hat sie stark werden lassen“. Weil er ausschließlich das Westjordanland auf der Agenda habe, um seine Ideologie zu implementieren: Teile des Gebietes zu annektieren. „Gaza ist in diesem Plan nicht vorgesehen. Die Rechtsregierung der vergangenen Jahre will nicht, dass der Streifen Teil einer Lösung mit den Palästinensern ist. Am liebsten würden sie Gaza nicht einmal sehen.“

Aber das Palästinensergebiet existiert. Wie die Israelis und die ganze Welt in diesen Tagen sehen. „Bislang war es gut für die israelische Regierung, dass zwischen Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und der Hamas keine oder nur eine extrem schlechte Beziehung besteht. Durch das Ignorieren wuchsen die extremistischen Gruppen. Der Islamische Dschihad bekommt viel Geld aus dem Iran und kauft damit Leute. Er hat dieselbe Ideologie wie der Islamische Staat, und Hamas ist nicht viel besser.

Zwischen ihnen und Israel, egal mit welcher Regierung, wird es nie eine Lösung für Gaza geben.“ Die Menschen in der Enklave hätten Angst vor den Gruppen, lebten unter einer Diktatur. „Aber die Mehrheit unterstützt sie nicht mehr.“

Blockade

Ein großes Problem in diesem Gesamtgefüge sei die Blockade, die Israel verhängt hat, weiß Shaked. „Sie schiebt die Leute in Richtung der Extremisten. Denn so kann nichts aufgebaut werden, wodurch es den Einwohnern besser ginge. Keine Landwirtschaft, kein Handel, keine Industrie. Es bräuchte einen Hafen und eine Wirtschaft, die sich entwickeln kann. Wie im Westjordanland. Dort, wo eine Kooperation zwischen Palästinensern und Israel besteht, gibt es keine Hamas.“ 

„Die Bewohner des Gazastreifens sind Menschen. Auch sie brauchen Hoffnung und eine Zukunft.“ Doch Shaked ist sich bewusst, eine schnelle Lösung existiert nicht. „Ich bin nicht naiv und weiß, auch wenn es morgen eine andere Regierung in Jerusalem gibt, wird ein Wandel Zeit brauchen. Frieden kommt nicht über Nacht. Aber so ist es ein Teufelskreislauf. Einige Tage Raketen, dann Waffenstillstand, ein paar Wochen darauf wieder Raketen. Und das seit vielen Jahren.“

Es sei höchste Zeit, dem fundamentalistischen Regime von Hamas und Islamischen Dschihad ein Ende zu setzen. Dann müsste der Gazastreifen Abbas übergeben werden, fasst er zusammen. „Mit der Hilfe von arabischen Staaten wie Ägypten und Saudi Arabien könnte er aufgebaut werden. Auch die wollen die Extremisten loswerden.“

Der Nahost-Experte glaubt nicht, dass das Einschmuggeln von hochentwickelten Waffen in den Gazastreifen, das Jerusalem als einen Grund für die Blockade angibt, ein großes Problem sei. „Israel kann Gaza kontrollieren, will es aber derzeit nicht. Die israelische Armee bettele praktisch seit Jahren, die wirtschaftlichen Bedingungen für die Bewohner des Streifens zu verbessern. „Denn das Militär ist sicher, dass die Spannungen dadurch nachlassen.“

Dabei gebe es durchaus Möglichkeiten, die Lockerung der Blockade schrittweise durchzuführen. „Denn man muss bedenken: Wenn Menschen Beschäftigung durch Arbeit haben und Geld nach Hause bringen, ist die Chance, dass sie Terroristen werden, wesentlich geringer.“