Der Rahmen war perfekt. Verlegerin Friede Springer saß in der ersten Reihe, Springer-Chef Mathias Döpfner dicht daneben, auch CDU-Vorsitzender Armin Laschet war zugegen. Und Österreichs Bundeskanzler sprach im festlichen Ambiente staatstragend auf Englisch. „Pragmatismus ist ein Mechanismus, den wir alle beherzigen sollten“, sagte Sebastian Kurz in Berlin. Das war vor sechs Wochen und klang ein wenig wie seine eigene Polit-Maxime. Das Lob des Pragmatismus war aber auf zwei andere gemünzt: Die Biontech-Gründer und Impfstoffentwickler Özlem Türeci und Uğur Şahin erhielten den heurigen Springer Award. Zur Laudatio geladen war Sebastian Kurz.

Morgen wird er selbst geehrt. Kurz erhält in den Bavaria-Studios in München den Freiheitspreis der deutschen Weimer Media Group. Vor ihm trugen sich schon Jean-Claude Juncker, Christian Lindner und Fürst Albert II. von Monaco in die Liste der Preisträger ein. Kurz, so die Begründung der Jury, sei ein „Brückenbauer“ und „großer Kommunikator“. Er „baut immer wieder eine Brücke quer durch den Kontinent und erweist sich als offener Mittler, dem ein geeintes Europa nicht nur Vision, sondern gelebte Realität sein soll“, so die Jury. In Brüssel mögen das nach den jüngsten Reibereien um die Impfstoffverteilung manche etwas anders sehen.

"Wie Söder, nur besser"

In Deutschland aber feiern sie Kurz. Nicht nur im Verlagshaus Springer, wo die Zeitung „Die Welt“ Kurz („wie Söder, nur besser“) schon als möglichen Nachfolger Ursula von der Leyens an der Spitze der EU-Kommission in Stellung bringt. Auch zu Springers „Bild“ unterhält Kurz gute Beziehungen. Wolfram Weimer, Chef der gleichnamigen Media Group, arbeitete einst ebenfalls für Springer, unter anderem als Chefredakteur der „Welt“. Später führte er die Zeitschriften „Focus“ und „Cicero“. Gediegen konservativ.

Kurz’ Stern in Deutschland begann spätestens im Herbst 2015 aufzusteigen. Der damalige Außenminister erkannte früh das politische Potenzial, das in der Flüchtlingspolitik lag – nicht nur innenpolitisch. Mit seinem harten Kurs verkörperte Kurz das Gegenteil zur Öffnungspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Das machte Kurz zur gewaltigen Projektionsfläche – nicht nur der CSU, sondern der nach Halt und Orientierung suchenden Konservativen im Nachbarland.

Von einer „konservativen Revolution“ träumte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt. Das war mit Blick auf die antidemokratische Tradition des Begriffs in der Weimarer Republik doch sehr geschichtsvergessen. Was aber bleibt, ist die tiefe Sehnsucht nicht nur nach einer konservativen Erneuerung nach der liberalen gesellschaftlichen Öffnungspolitik der Merkel-Jahre, sondern nach einem Bruch.

"Staatsmännlein" und "House of Kurz"

Niemand verkörpert diese Zäsur besser als Kurz. Die ÖVP wendete er von Schwarz zu Türkis. Aus der Klammer der immerwährenden Großen Koalition befreite er sich mit einem Bündnis mit der rechten FPÖ. Nach dem skandalträchtigen Fall seiner Regierung über die Ibiza-Affäre optierte Kurz für die Grünen. Es ist der Bruch mit alten Strukturen zugunsten einer neuen, stabilen Ordnung, den Konservative in Deutschland an Sebastian Kurz schätzen. Oder vielmehr schätzten. Vom „Staatsmännlein“ schrieb zuletzt die „Süddeutsche Zeitung“ und wähnte hinter dem Skandal um Chat-Protokolle und die Aufteilung der Republik einen „Hang nach totalitärer Kontrolle“. Selbst das Brüsseler Magazin „politico“ (mit Springer-Beteiligung) schrieb vom „House of Kurz“. Abstand halten ist neuerdings die Devise.

Das Bild von Kurz als Traum- und Jung-Konservativem war wohl zu stark idealisiert. Wobei die Stilisierung beiden Seiten nützte. In der Heimat konnte Kurz auf die Wertschätzung im Nachbarland verweisen. In Deutschland ließ sich mit dem Blick auf die Wiener Schule das Ideal eines jungen Konservatismus skizzieren. Gerade weil die hiesigen Seelenverwandten von Karl-Theodor zu Guttenberg über Jens Spahn bis Philipp Amthor doch allzu rasch über Skandale und Skandälchen ihren Glanz verloren. Von einer „großen Ausgedünntheit auf personeller Ebene“ spricht der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher im Gespräch mit der Kleinen Zeitung mit Blick auf konservative Nachwuchshoffnungen in Deutschland.

Biebricher hat in seinem Buch „Geistig-moralische Wende“ die Erschöpftheit des Konservatismus in Deutschland beschrieben. Umso mehr wird auf der Suche nach Erneuerung im Ausland nach Vorbildern gesucht. Denn inhaltlich fällt der Aufbruch schwer. „Das letzte konservative Identifikationsmerkmal war die schwarze Null. Die ist mit der Pandemie vorerst Geschichte.“ Auch der starke Staat als heilige konservative Institution zeigt zwischen Corona-Notbeschulungen und Impfstoffverteilung ungeahnte Schwächen.

Jung, fesch und absolut gesellschaftsfähig

Wo die inhaltliche Neubestimmung eines modernen Konservatismus fehlt, bleibt einzig der Rückzug auf einen konservativen Habitus: jung, fesch, ordentlich gekleidet, absolut gesellschaftsfähig. „Doch der habituelle Konservatismus hat ein Nachwuchsproblem“, konstatiert Biebricher mit Blick nicht nur auf Deutschland. Denn das jung-konservative bürgerliche Gehabe nutzt wenig, wenn die Politik in Affären um Plagiate, Lobbyismus und Masken-Deals ertrinkt. So rückte zuletzt selbst CSU-Chef Markus Söder in seiner Aschermittwochrede von Sebastian Kurz ab. Und das ZDF urteilte: „Basti Fantasti, das war einmal.“ Es wird einsam um das einstige Role Model aus Wien.