Die Klimakrise ist „ohne Verzicht zu bewältigen“, sagt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Sehen Sie das auch so wie der Koalitionspartner?
SIGRID MAURER: Wer glaubt, die Klimakrise ohne Veränderung bewältigen zu können, lebt in der Steinzeit. Unseren Bäuerinnen und Bauern verbrennt die Ernte auf den Feldern, wir haben Überschwemmungskatastrophen, Tornados und Hitzewellen in den Städten, an denen Menschen sterben. Die Auswirkungen der Klimakrise finden nicht nur irgendwo bei den Eisbären auf den Polarkappen statt, sondern hier bei uns, in unseren überschwemmten Tälern und den hitzegeplagten Städten. Sie treffen uns alle. Die Menschen in unserem Land erwarten daher zu Recht von uns, dass wir handeln. Dazu haben wir uns auch in der Bundesregierung verpflichtet, das ist unser Auftrag.

Sie attestieren dem Bundeskanzler Steinzeit-Denken?
Ich habe den Eindruck, dass er noch nicht erkannt hat, wie drängend das Problem in der Bevölkerung ist. Die Menschen in Österreich erwarten sich, dass wir die Umwelt retten, nicht dass wir Naturschutzgebiete zubetonieren. Und sie sind auch bereit einen Beitrag zur Veränderung zu leisten.

Der Umweltsprecher der ÖVP, Johannes Schmuckenschlager, hat jüngst von "Klima-Diktatur der Umweltschützer und NGOs" gesprochen. Wie geht sich da eine Zusammenarbeit aus?
Man sieht daran, dass es in der ÖVP einen Block gibt, der einem sehr alten, fossilen Denken anhängt.

Sigrid Maurer: "Wir regieren mit einer Partei, die sich mit ihren Positionen zum Teil sehr stark von uns unterscheidet"
Sigrid Maurer: "Wir regieren mit einer Partei, die sich mit ihren Positionen zum Teil sehr stark von uns unterscheidet" © Markus Traussnig

Die Evaluierung von Straßenbauprojekten ist das aktuelle Streitthema in der Koalition. Wie frostig ist die Stimmung, nachdem eine ÖVP-Abgeordnete im Bundesrat gegen diese Pläne stimmte und jetzt wieder einmal öffentlich gestritten wird?
Wir waren überrascht über das Abstimmungsverhalten. Es wurde aber umgehend korrigiert, mit einem gemeinsam beschlossenen Antrag im Nationalrat. Auch für die S 18 in Vorarlberg werden noch einmal Alternativen geprüft. Wir haben gerade Unwetterkatastrophen hinter uns, auch die hängen mit Bodenversiegelung zusammen. Da ist es logisch, dass man evaluiert, ob gewisse Projekte, die vor 20-30 Jahren geplant wurden, wirklich noch zeitgemäß sind.
Die Grünen fordern mehr Tempo beim Klimaschutz. Zynisch gefragt: Kommen Ihnen die jüngsten Unwetterkatastrophen sogar zugute, um das Thema mehr voranzutreiben?
Solche Katastrophen billig zu instrumentalisieren, das ist nicht unsere Art.  Der Klimawandel betrifft alle Menschen in ihrem täglichen Leben. Wir haben Dürrewellen, massive Hitze in den Städten, Ernteausfälle, extreme Wetterphänomene. Ein weiteres Bremsen beim Klimaschutz können wir uns nicht leisten.

Einschränkungen könnten zu sozialen Verwerfungen und Aufständen der Bevölkerung führen
Die Ökologisierung wird nicht auf dem Rücken der kleinen Einkommen passieren, im Gegenteil werden diese besonders unterstützt werden. Ein Beispiel: Menschen, die sehr wenig verdienen, können bis zu 100 Prozent der Kosten für den Heizkesseltausch gefördert bekommen. Es geht darum, klimafreundliches Verhalten zu begünstigen.

Die Türkisen machen beim Thema Asyl was Sie wollen, die Grünen in der Klimapolitik. Ist das die Arbeitsteilung?
Die Basis unserer Zusammenarbeit ist das Regierungsprogramm. Da steht etwa als zentrales Ziel drinnen, bis 2040 klimaneutral zu werden und die Bodenversiegelung hintanzuhalten. Um diese Ziele zu erreichen, wird es auch Veränderungen brauchen. Wir gehen hier unbeirrt unseren Weg. Bei den Asylfragen gibt’s halt viele Dinge, die nicht im Regierungsprogramm stehen.

Wie lang können Sie sich da noch verbiegen und Dinge mittragen, die nicht in Ihrem Sinne sein können?
Ohne uns in der Regierung würden ganz viele Dinge beschlossen werden, die gegen das sind, wofür die Grünen stehen. Wir sind der der Garant dafür, dass auch die Asylpolitik in Österreich nicht weiter verschärft wird.

Ihr Koalitionspartner hat in den vergangenen Monaten immer wieder Attacken gegen die Justiz geritten. Hat es da nie den Zeitpunkt gegeben, wo Sie sich gesagt haben, das geht jetzt nicht mehr?
Klar gibt’s Bereiche, wo man sich denkt, was ist jetzt schon wieder los. Wir haben uns auch deutlich zu diesen Attacken geäußert. Aber wir sind die Garantinnen dafür, dass die Justiz ermitteln und unabhängig arbeiten kann. In der Vergangenheit sind solche Verfahren oft „daschlogn“ worden, wie wir aus Schilderungen wissen. Das gibt’s mit uns garantiert nicht. Wir sind nicht in diese Regierung gegangen, um es bequem zu haben, sondern um das Land zum positiven zu verändern.

Im Februar haben Sie zu den Ermittlungen gegen Gernot Blümel gesagt: „Sollten neue Vorwürfe auftauchen oder sollte es eine Anklage geben, dann wäre natürlich der Rücktritt notwendig.“ Warum sagen Sie jetzt bei den Ermittlungen gegen Sebastian Kurz, dass man sich zuerst den Inhalt  eines Strafantrages anschauen würde?
Es geht in dieser Frage grundsätzlich um die Amtsfähigkeit. Wenn belastende Vorwürfe im Raum stehen, ist ein Politiker dann in der Lage sein Amt uneingeschränkt auszuüben? Eine Anklage ist kein Urteil. Sollte es zu einer Anklageschrift kommen, wird man sich das in Ruhe anschauen.

Warum beziehen Sie da nicht eine klare Position?
Wir sind der Meinung, dass das alles viel zu aufgeheizt diskutiert wird. Man sollte die Justiz jetzt in Ruhe arbeiten lassen.

Sie können Sich vorstellen, in einer Koalition zu sitzen, in der der Bundeskanzler gleichzeitig auf der Regierungsbank und der Anklagebank sitzt?
Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Spekulationen, sondern für Ermittlungen.

Sorgt einzig die Coronakrise dafür, dass diese Koalition nach wie vor besteht?
Es wurde schon so oft von Koalitionskrach, Koalitionskrise, Koalitionsende geschrieben. Unsere Aufgabe ist es, ein Regierungsprogramm abzuarbeiten. Wir regieren mit einer Partei, die sich mit ihren Positionen zum Teil sehr stark von uns unterscheidet. Da gibt es Auseinandersetzungen. Aber unser Auftrag ist es, das Land voranzubringen. Befindlichkeiten zu diskutieren, ist unnötig. Wir hatten so oft Neuwahlen in diesem Land, ich halte das für problematisch in welcher Frequenz hier gewählt wird. Unser Ziel ist es, die volle Legislaturperiode den Job zu erledigen, für den wir gewählt worden sind.

Derzeit wird über eine Impfpflicht für Lehrpersonal, Pflege- und Krankenhauspersonal diskutiert. Warum gibt es da keine klare gesetzliche Vorgabe durch die Bundesregierung?
Das ist im Bereich der Länder regelbar. Wir haben bei den Lehrerinnen und Lehrer eine gute Durchimpfung. Beim Pflegepersonal setzen manche Länder jetzt auf Impfnachweis bei Neuanstellungen. Das ist durchaus legitim. Eine allgemeine Diskussion über eine Impfpflicht ist nicht zielführend.