Hinein in die geheimnisvolle Welt der Verschwörungstheorien ging es für Gerald B. schnell und direkt. Ein Buch, ein paar Freunde, viel Zeit in einschlägigen Internetforen – und immer klarer wurde für den damals knapp über 20-Jährigen, dass es eigentlich eine geheime Weltregierung gebe, die Erde innen hohl sei, die Pharmaindustrie Aids und Krebs erfunden habe und hinter den Terroranschlägen von 9/11 in Wahrheit konspirative Mächte standen.

Diese Denkansätze erzeugten eine suchtähnliche Sogwirkung. „Ich habe mich am Anfang klein gefühlt, war unsicher und habe keinen Anschluss gefunden“, erinnert sich B.: „Man nimmt dann ein Glaubenssystem an, das einem über einfache Wahrheiten das Gefühl vermittelt, etwas zu wissen.“ Daraus wächst eine Art Überlegenheitsgefühl, als einer der wenigen Auserwählten den Betrug und die Lügen zu durchblicken.

Schaffte den Ausstieg aus der Welt der Verschwörer: Gerald B.
Schaffte den Ausstieg aus der Welt der Verschwörer: Gerald B. © kk

Es ist ein typischer Werdegang eines Verschwörungstheoretikers. „Das ist wie in einem Endzeit-Actionfilm: Man ist der Held seines eigenen Films“, vergleicht Katharina Nocun in einem FM4-Interview. Zusammen mit Psychologin Pia Lamberty hat sie das Buch „Fake Facts“ verfasst. Sie beschreiben darin, wie Verschwörungserzählungen das gesellschaftliche Leben beeinflussen und sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft dadurch radikalisieren. „Verschwörungsgläubige plappern die Fakten ihrer Schwurbelgurus nach und verwenden – teilweise unbewusst – deren argumentative Tricks und unsaubere rhetorische Gesprächstechniken“, beschreibt B. diesen Prozess.

Tricks? „Man stellt nur rhetorische, mit Vorwürfen aufgeladene Fragen“, erklärt B.. „Indizienketten werden rückwärts gebaut und dann vorwärts erzählt – so macht man sich nicht angreifbar“, nennt er ein weiteres Beispiel. Diese unfairen Methoden müsse man erkennen. Beispielsweise wenn das Gegenüber nicht auf das vorgebrachte Argument eingeht, sondern einem ein anderes unterstellt und dieses dann widerlegt. „Das beeindruckt zwar im ersten Moment, ist aber ein kognitiver Fehlschluss, auf den man hinweisen muss“, warnt B.. Nicht alle würden das erkennen – „auch weil die Verschwörungstheorie-Gurus immer besser werden“. So gelinge es rechten Gruppen, durch einen eigenen Spin auch ursprünglich linke Esoteriker abzuholen.

Fruchtbarer Boden

Tatsächlich scheint die Pandemie ein fruchtbarer Boden für Verschwörungstheorien zu sein. So waren im August 2020 laut einer Umfrage des Linzer Market Instituts 32 Prozent der Österreicher offen für Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Coronakrise. Sie fanden, dass an „Meinungen, dass es bei den Maßnahmen gegen die Coronakrise um etwas ganz anderes geht als das, was Politik und Medien sagen“, etwas dran sei. Im April 2021 haben in einer Umfrage der Universität Basel zehn Prozent der befragten Schweizer mindestens einer von 49 vorgelegten Corona-Verschwörungsaussagen zugestimmt. Und in Italien gaben noch im Dezember bei einer Studie 5,9 Prozent der Befragten an, nicht an die Existenz des Virus zu glauben.

Dazu kommt, dass das Verdrängungsvermögen unter Verschwörungstheoretikern sehr ausgeprägt ist. Ihnen gehe es weniger um richtige Fakten, als darum, immer recht zu haben, sagt B.. Es brauche diese Selbstüberhöhung, dieses bewusste gegen den Strom schwimmen.

Der Weg aus der Welt der Verschwörungstheorien dauert bei Gerald B. fünf Jahre. Ein Arbeitskollege stellt eines Tages unaufgeregt die vermeintlich einfache Frage, warum er denn an dieses Weltbild glaube. Bei B. keimen Zweifel. Er stößt auf Widersprüche in den Verschwörungstheorien, denen er anhängt. Von den damaligen Freunden hat er sich da schon sukzessive entfremdet, am Ende mit ihnen gebrochen. Er habe Glück gehabt, sagt er rückblickend. Bei anderen gebe es auch „großen Druck der Peergroup, dabei zu bleiben“. Seit 2016 sieht sich B. als „clean“. Heute betreibt er als Aussteiger unter dem Namen „Ascendancer“ einen eigenen Youtube-Kanal, in dem er aufklärend über verbreitete Theorien und Techniken aus der Welt der Verschwörer informiert.

Dass die aktuelle Debatte derart eskaliert und zu einem tiefen Spalt in der Gesellschaft führen würde, hatte er sich zu Beginn zwar nicht gedacht. Viele würden sich aber aufgrund von Corona jetzt trauen, offen zu ihren Überzeugungen zu stehen. Die Impfpflicht sorge für zusätzlichen Zündstoff: „Ich war auch ein starker Impfgegner und weiß, wie sich jetzt Tausende in die Ecke gedrängt fühlen.“

Was also tun? „Reden, aber nicht mit dem Ziel, zu überzeugen, dranbleiben, aber keine Wunder erwarten“, rät B. zu Pragmatismus. Insgeheim träumt er aber von einer gesamtgesellschaftlichen Utopie, die Verschwörungstheorien austrocknet: „Einander die Hand geben und nicht wegstoßen und eine Gemeinschaft schaffen, in der alle Platz finden und sich niemand klein und gegängelt fühlt.“