Sind unsere Begriffe nicht schon im Kern diskriminierend: rassistisch oder sexistisch? Das wechselseitige Misstrauen, zumal unter den Gebildeten aus unterschiedlichen Stimmungslagern, reicht tief, da die Sprache nicht schlicht ein Instrument zur neutralen Informationsübermittlung ist. Ihre Ausdrucksformen sind zugleich ein „Depot“, in dem eine Lebensform, eine Kultur, ein Kollektivgefühl lagern. Das gilt für die Beziehungen der Geschlechter ganz besonders. Der Umgang, den Männer und Frauen miteinander pflegen, entwickelt sich nicht zuletzt am Leitfaden ihrer Konversationsgepflogenheiten.

Heimito von Doderers Kapitel „Topfenkuchen“ in seinem 1956 publizierten Roman „Dämonen“ spricht, zwar großartig stilisiert, aber ungeniert und belustigt über die „Dicken Damen“ aus dem großbürgerlichen Milieu im Wiener Kaffeehaus (sie warten auf ihre Männer, die abends aus „dem Amt“ oder „Büro“ zu ihnen eilen) – so eine Darstellungsweise empfinden viele Leserinnen heute bereits als anstößig. Ein Kulturwandel hat stattgefunden, in dessen Vollzug die „Aktualität und Dauer“, die Doderers epischem „Staatsroman“ einst allgemein zugesprochen wurde, durch die Frage ersetzt wird, ob derlei Schrifttum zur Schullektüre taugt.

Der Vorgang des Genderns offenbart eine tiefliegende zivilisatorische Krise, die einzig die älteren Mitglieder unseres Gemeinwesens weniger berührt. Sie sind im Kokon einer – wie es nun heißt – repressiven Sprachtradition großgeworden. Vor einiger Zeit teilte mir eine betagte Bekannte irritiert mit, es sei ihr aufgefallen, dass ein Sprecher in den Abendnachrichten des österreichischen Fernsehens neuerdings an einem Artikulationsdefekt leide. Ob er – wohl auch nicht mehr der Jüngste – ein „Schlagl“ erlitten habe? Bevor er an ein Hauptwort die weibliche Endung anhänge, halte er kurz inne.

Daraufhin wandte ich ein, dass es sich dabei um den lobenswerten Versuch handle, öffentlich eine nichtdiskriminierende Sprache zu verwenden. Als ich meine Bekannte wiedertraf, hatte sie bereits im Internet recherchiert. Jetzt gab sie ihrer Anerkennung darüber Ausdruck, dass der Sprecher dem Vorschlag der feministischen Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch gefolgt sei. Ihr zufolge solle das geschriebene Binnen-I durch ein „glottal stop“ angezeigt werden, einen tonlosen Knacklaut, der mittels plötzlicher Lösung eines Verschlusses der Stimmlippen gebildet wird, auch Glottisschlag oder glottaler Plosiv genannt.

Seit Langem war ich mit dem Problem der nichtdiskriminierenden Sprache befasst gewesen, weil ich in meiner Eigenschaft als Universitätslehrer von meinen Diplomandinnen immer wieder einmal gefragt wurde, ob sie sich nicht des lückenlosen Genderns ihrer Arbeit enthalten könnten. Besonders das gehäufte Auftreten der üblichen Gendermarker – Binnen-I, Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich – würde ein hässliches Schriftbild ergeben.

Mein ursprünglicher Lösungsvorschlag lautete: „Verwenden Sie doch nur die weibliche Form.“ Dieser Rat erwies sich bald als zu simpel, denn die Situation wurde immer „regenbogenfarbiger“, also korrigierte ich mich: „Verwenden Sie doch die weibliche Form für personale Allgemein- und Individualbegriffe, es sei denn, es handle sich um einen männlichen – sich nicht als weiblich oder sächlich definierenden – Mann.“ Warum?

Wir sind auf einem Weg, der wegführt von der Bestimmung des Geschlechts aufgrund biologischer Merkmale. Sexualität wird durch die Genderidentität ersetzt, welche sich eine Person selbst zuschreibt. Es gibt heute, offiziell anerkannt, Transgenderpersonen und solche, die in das vorgefügte Schema „männlich/weiblich“ nicht eingepasst werden wollen. Es gibt den genderneutralen Menschen: nicht er und nicht sie, sondern es.

Freilich stöhnen Juristinnen, die mit der legislativen Fortentwicklung der Rechtsbeziehungen zwischen den Geschlechtern beschäftigt sind. Denn die Anwendung von Gesetzen stützt sich auf die Erfüllung von Tatbeständen, deren Feststellung – beispielsweise: männlich/weiblich – auf allgemein nachprüfbaren, sachverständig befundbaren Merkmalen beruhen muss. Ansonsten würde die Zuweisung von Rechten und Pflichten eine Frage des Befindens, der Ideologie oder des Vorurteils, und wenn es bloß darum ginge, ob Männer Frauentoiletten benützen dürfen, falls sie sich selbst als Frauen „definieren“.

Einmal abgesehen von dieser Komplikation, bleibt zu fragen: Wie können wir miteinander reden, wenn wir nicht mehr reden dürfen, „wie uns der Schnabel gewachsen ist“? Hinter dieser Frage lauert eine gewisse Verbissenheit, deren Zuspitzung auf die strikte Einhaltung der jeweils aktuellen Gendervorschriften abstellt. Doch sprechen heißt sprechen im Kontext: über den Gartenzaun hinweg plaudern; ernsthaft Konversation betreiben; pikante Intimitäten austauschen, wie es Frischverliebte tun; bei unterschiedlichen Gelegenheiten einander zornig oder begeistert anschreien …

Das einzige Kriterium, das in all diesen Kontexten zählt, lautet wohl: Keine der Gesprächspartnerinnen – die Gesprächspartner inbegriffen – darf sich bloß wegen ihres Geschlechts oder Nichtgeschlechts herablassend behandelt fühlen. So manche Doktorin oder Bürgermeisterin möchte gerne als „Frau Doktor“ oder „Frau Bürgermeister“ angesprochen werden. Im liberalen Diskurs gilt: Warum nicht?

Darin liegt zugleich eine Antwort auf die Frage, wie wir miteinander reden können, ohne uns zu verletzen. Indem wir Ausdrucksformen verwenden, die das intime Bild, welches die jeweils andere Person von sich selbst hat, nicht absichtlich und grundlos herabwürdigen. Das Sprachstereotyp transportierte im Deutschen über alle Epochen hinweg eine sexistische Position: männliche Dominanz. Diese hat durch Aufklärung ihre Funktion längst eingebüßt. Nun liegt es an uns, wie wir – plaudernd, streitend, flirtend – unsere sprachliche Lebenswelt gestalten.

In jedem Fall bedarf es eines zwanglosen Konsenses. Warum sollte ein solcher, indem wir miteinander reden, nicht erreichbar sein? Schwere, anhaltende Diskriminierungen, die rechtlich zu ahnden wären, treten meist jenseits des Sprachgebrauchs auf, zum Beispiel dort, wo für die gleiche Arbeit von Männern und Frauen nicht die gleiche Entlohnung erfolgt – zuungunsten der Frau. Gerade hier ist die Lahmheit des Rechts bisweilen unverständlich und empörend.

Genderapostel (ich sehe von der weiblichen Form einmal ab), die ihren linguistischen Standpunkt mittels offizieller Verbote durchzusetzen wünschen, missachten die Autonomie der sprachkompetenten Person. Schenken wir ihnen Glauben und Gehör, dann werden wir bald nicht mehr fähig sein, miteinander zu reden, ohne einander zu beargwöhnen. Aber wie so oft gilt auch hier der Lehrsatz des unsterblichen Monaco Franze: „Ein bissel was geht immer, gell Spatzl!“