Seit einem Jahr ziehen Barbara Loisl und ihre beiden Söhne am Ortsrand von St. Thomas ein Reh auf, dessen Mutter im Mai vergangenen Jahres beim Mähen ums Leben kam. "Meine Kinder und ich haben eine sehr tiefe Bindung zu dem Rehlein, weil es auch kein Leichtes war, das Tier überhaupt durchzubringen. Es kam einen Tag nach seiner Geburt zu uns, weil die Mutter unter ein Mähwerk geraten war", erzählt die Ziehmama des Wildtiers.

Mittlerweile hält sich der erfolgreich aufgepäppelte junge Rehbock vorwiegend in den Wäldern rund um Unter Sankt Thomas auf. Dennoch vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht seinen drei Lebensrettern zumindest einen kurzen Besuch abstattet, sagt Loisl: "Wenn die Terrassentür offen steht, trapst er in die Küche herein, um sich ein paar Streicheleinheiten und Leckerlis abzuholen. Dann geht er wieder seiner Wege."

Zweieinhalb Meter hohe Holzabsperrung

Seit vergangenem Freitag sind diese spontanen Besuche nicht mehr möglich. Denn vor knapp einem Jahr wurde der nicht mehr bewirtschaftete Bauernhof, in dem zwei Mietparteien wohnen, verkauft. Anfangs habe man mit dem neuen Besitzer aus Salzburg ein gutes Auskommen gehabt. Seit März hätten sich die Beziehungen zwischen dem neuen Besitzer aus Salzburg und den eingemieteten Familien aber drastisch verschlechtert, berichtet Loisl.

Kann nicht mehr ins Haus: Das Familienmitglied aus dem Wald
Kann nicht mehr ins Haus: Das Familienmitglied aus dem Wald © privat

In erster Linie habe man sich um das bis August 2023 geltende Wohn- und Nutzungsrecht der Mieter gestritten. "Jetzt will man uns wesentlich früher raushaben", sagt Loisl. Aber auch über die Achtung der Privatsphäre gab es Meinungsverschiedenheiten. Wie oft in solchen Fällen häuften sich die gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Der Konflikt gipfelte am Wochenende in der Errichtung einer etwa zweieinhalb Meter hohen Holzabsperrung direkt beim Haus. Seither können die Wohnungsmieter den weitläufigen Garten nicht mehr betreten. Aber auch dem Rehbock ist nunmehr der Zugang zur Wohnung verwehrt. "Wenn ich höre, wie das Reh draußen nach mir ruft und nicht mehr hereinkann, weil dieser Bretterzaun gebaut wurde, zerreißt es mir das Herz", sagt die verzweifelte Mieterin. Sie habe inständig gebeten, zumindest einen kleinen Spalt zu lassen, damit das Reh weiterhin zum Haus kann – erfolglos.

Die Situation ist einigermaßen verzwickt: "Natürlich wäre es möglich, diesen Konflikt auf dem Rechtsweg zu klären, aber das kann dauern. Gerichtsbeschlüsse ziehen sich ja immer in die Länge. Unser Rehlein kann aber nicht so lange warten."