Der Nationalfeiertag regt uns an, darüber nachzudenken, was denn typisch österreichisch sei. Selbst vor der Pandemie war eine Antwort schwierig. Zu unterschiedlich sind die Menschen zwischen Bodensee und Neusiedler See, in der Stadt und am Land, mit ihren verschiedenen Wurzeln von der Habsburgermonarchie bis zum Nahen Osten. Und das ist gut so.

Mitten in einer Pandemie fällt auf, dass uns das Verbindende immer mehr abhandenkommt. Der schroffe Ton im Umgang miteinander scheidet nicht nur Geimpfte und Ungeimpfte, sondern auch Befürworter und Gegner einer möglichen Rückkehr von Sebastian Kurz als Bundeskanzler. Oder jene, die angesichts der drohenden Hungerkatastrophe in Afghanistan vorsorglich Flüchtlingsquartiere aktivieren, von jenen, die ihre Passivität mit unerfüllten Quoten anderer Bundesländer oder EU-Staaten rechtfertigen.

Es wäre falsch zu glauben, dass uns früher gemeinsame Werte und Toleranz mehr verbunden hätten. Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer – selbstverständlich alles Männer – bestimmten über das Verbindende. Wer sich dem nicht anschließen wollte, hatte zu schweigen. Die daraus entstehende Gefügigkeit darf nicht mit Einverständnis verwechselt werden. Für Frauen, Minderheiten und Zugewanderte war und ist es ein weiter Weg und harter Kampf zur Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Bedürfnisse und Rechte.

Es wird nicht gelingen, unsere Verschiedenheit zu negieren oder gar wieder zu unterdrücken und gleichzeitig globale Krisen, von der Pandemie über die demografischen Veränderungen bis zum Klima, zu bewältigen. Dafür brauchen wir jedenfalls politische Eliten als Vorbild für gegenseitigen Respekt sowie eine klare Trennung von Fakten und Meinungen. Die Gesellschaft hat sich geändert, das ist gut so. Nun müssen politische Systeme lernen, damit umzugehen. Dazu zählen wir alle.