Mögest Du in interessanten Zeiten leben, besagt der chinesische Fluch, und beschweigt im gleichen Atemzug die Ausgestaltung des bedrohlichen Wunsches, verrät nichts über die zahllosen Möglichkeiten der Unruhe, verspricht einem nur, dass sie kommt. Die letzten Wochen standen demnach nicht unter dem Stern der Langeweile, und die Tage hatten für die vielen Wendungen, die sie beherbergen mussten, kaum genug Stunden, dass auch alle Platz hatten.

Für ein paar Augenblicke versagten alle Prophezeiungen, so aufgerührt schien die Situation im Land, jede Vorhersage überholte sich selbst oder verwandelte sich, kaum war sie ausgesprochen, schon in ihr Gegenteil. Die Politik war in Aufruhr und mit ihr die Menschen, beides zu Recht und aus guten Gründen, die nichts Gutes über die Welt sagten. Gewesen wollte es aber niemand sein und so meinte man, das Schlachtfeld vor lauter Opfern nicht zu sehen. Weil man sich aber nicht fürchten muss, es würde von zu wenigen Menschen zu wenig über Politik gesagt, und alle Analysen, Empörungen und Rechtfertigungen längst aufgezeigt wurden, darf ich mich zu solchen Ereignissen und Krisen auf die Einzelheiten, die mir intuitiv ins Auge stechen, konzentrieren. Was mir auffiel war, dass die Protagonisten in ihren Wortmeldungen in Funk und Fernsehen gerne den Begriff Respekt bemühten und ihre Mühe seiner Bedeutung nie gerecht wurde.

Die einen sagten ununterbrochen: Bei allem Respekt und meinten nur für die Meinung oder noch öfter die Fakten des Gegenübers hätten sie gar keinen, die anderen sprachen Leuten für ihre unfreiwilligen, unrühmlichen Entscheidungen ihren größten Respekt aus, und man hatte mehr und mehr das Gefühl, über die Bildschirme Zeuge einer gänzlich verkehrten Welt zu werden. Auch wenn es kein hundertprozentiges Bild einer richtigen gibt, träume ich nämlich jenseits jeder Ideologie immer noch heimlich von Zuständen, in denen man das Wort anders gebraucht, in denen man für unverbogene Stärke Respekt hat, für ernsthafte und ernst zu nehmende Menschen, für besondere Leistungen, für Dinge, die man gut gemacht hat, und auch für aufrechte Entschuldigungen zu Dingen, die man schlecht gemacht hat – und nicht für die Unbeirrbarkeit des eigenen Ichs, nicht für die Deckung und Rechtfertigung jeder Grobheit.

Ganz gewöhnen möchte ich mich nicht an die Umwertung der Begriffe, an die Ungenauigkeit des Ausdrucks, die routinierte Täuschung der Floskel, dafür nehme ich es nicht nur berufsbedingt zu ernst mit dem Wörterbuch und den Beschreibungen der Welt, die es birgt.
Auf alle, aber gerade auch auf die schönen Wörter will ich mich verlassen können, will, dass sie als Signale, Entsprechungen, Haltegriffe im Universum gelten und nicht bloß Falltüren sind, durch die man purzelt. Das hält die Welt bewohnbar, in interessanten und uninteressanten Zeiten –welche der Zeitzonen man präferiert, bleibt dann bloß noch eine Typfrage.