Kürzlich las ich in der Zeitung eine wundersame Geschichte über Angst und ihre eigenartigen Rezepturen. Dort stand zu lesen, dass eine Frau im polnischen Krakau einen sorgfältig von Hand gemachten Albtraum erlebte, der sie für eine nicht unerhebliche Zeit in Angst und Schrecken versetzte. Denn im Wipfel des Fliederbusches vor ihrem Haus saß ein gefährliches Tier, das sie augenscheinlich belauerte, mit seiner bloßen Existenz zutiefst beunruhigte, sich Tag und Nacht nicht vom Fleck rührte, und dessen Jagdverhalten des vollkommenen Stillstandes sie als besonders bedrohlich empfand.

Die Dame beobachtete die Kreatur sorgenvoll hinter dem Schutz der Fensterscheibe, traute sich erst nicht aus dem Haus, schlief kaum, wurde nervös und fahrig, wusste weder ein noch aus, bis die Behörden schlussendlich zu Hilfe kamen. Der verständigte Tierschutz barg aus den Ästen des Fliederbusches ein von Wind und Wetter und großen Erwartungen versehrtes Croissant. Manchmal benötigt man für eine Angst also gar keine Gefahr, aber erzeugt sie erst, verkehrt Ursache und Wirkung, fürchtet man sich doch um kein Haar weniger, nur weil es eigentlich nichts gibt, vor dem es sich zu fürchten lohnte. Gerade vor dem Selbstausgedachten, dem Zusammengereimten und dem Wiederaufgebackenen kann einem hervorragend bang sein. Es gibt nichts, was man sich nicht einbilden könnte.

Wenn die Angst einmal einsetzt, durchläuft noch die harmloseste Wirklichkeit eine Metamorphose, die sie verfinstert und in dunkle Farben taucht, sie in ein System verwandelt, das fortan selbst nur noch das Schlechte bestätigende Omen und Indizien produziert, die wiederum die Angst füttern. Aus der Realität wachsen dann Greifarme und ziehen den Menschen weiter in seine ausgedachte Welt, bis diese platzt – oder der Tierschutz vor der Tür steht.

Vor Croissants hatte ich nie Angst, aber es ist schon vorgekommen, dass ich Mitleid mit ihnen haben musste. Denn in meiner Kindheit war es meinem Vater eine große Freude, am Sonntagvormittag für das gemeinsame Frühstück winzige, köstliche Aufbackcroissants nebeneinander auf ein Blech zu legen, und, wenn alle hungrig durch die hell erleuchte Ofentür starrten, tragische Geschichten über die kleine Gebäckfamilie, die auf dem Backpapier immer goldiger und wohlriechender wurde, zu erzählen. Er beschrieb mit hinterlistig leuchtenden Augen hochdramatische, herzanrührende Tragödien, wie sehr ein kleines Kipferl das andere brauchte, wie einsam es wäre, würde auch nur eines aufgegessen und der Schicksalsgemeinschaft des Plunders entrissen, bis wir Kinder es mit wässrigem Mund tatsächlich nicht mehr fertigbrachten, in das heiße, duftende Gebäck zu beißen, weil es uns so leidtat. Natürlich wussten wir um das Spiel, das er spielte, aber es änderte nichts: Das Gefühl war echt. Und die Croissants? Aß mein Vater – mit breitem Lächeln.