Der Schlüssel drehte sich im Türschloss, unhörbares Klicken im Tosen und Pfeifen der Bora. Wie durch einen geheimen Code benachrichtigt sind sie aus den menschenleeren Seitengassen herbeigerannt: Maci, der distinguierte Katerpatriarch mit der schwarzen Maske über dem weißen Gesicht, Shima, des Maci charmante Tochter, die vierfärbige Glückskatze, dann Fee, das schneeweiße Wunderwesen aus Watte und Anmut.

Das kätzische Empfangskomitee wartete schnurrend, bis die Tür sich auftat. Und dann tapp, tapp hinein, zwecks Inspektion der Räumlichkeiten. Um die Ecke, an der Punta, baute die Bora schier enorme Wassertürme auf, schleuderte schwere Steinblöcke über das Pflaster. Es ist einem erwachsenen Menschen unmöglich, dort aufrecht zu stehen, geschweige denn zu gehen.

Winter in Piran. Wir sind angekommen, schalten die Heizung ein. „Oben“, jenseits der Karawanken, war es auch Winter gewesen; überm Karst klarte der Himmel auf, dafür donnerten jetzt die Stürme herab, drängten vom Kalten ins Wärmere und verwandelten die Adria in der Bucht von Triest in einen Hexenkessel.

November, Dezember, Jänner, Februar: meine bevorzugte Saison in Piran, seit ich vor vielen Jahren allein heruntergefahren war, um für meine Frau ein Geburtstagsfest vorzubereiten, beim allzeit getreuen „Delfin“, bei dem wir uns seit 1991 im Sommer so wohl betreut und bekocht fühlen (alternierend mit dem ruhmreichen „Pavel“ an der Promenade). Es regnete in Schaffeln, ein leichtes Acqua alta bahnte sich an. Bierdosen trieben in den Lachen. Ein paar Schritte weiter ein bereits adventlich anmutender Lichtschein aus der „Cantina“.

Ein alter Herr erspähte den um diese Zeit seltenen Touristen, er deutete mir, einzutreten: „Vieni!“ So lernte ich Berto kennen, den Gründer und Wirt des winzigen Weinlokals, das sich mit den Jahren zu einer Institution entwickelt hat. In seinem Berufsleben hatte Berto als Musiker gewirkt und als Lehrer für Blechmusik am piranesischen Konservatorium, mit seinem Jugendorchester hatte er in aller Welt gastiert. Jetzt in seiner Pension schenkt er gemeinsam mit seiner liebenswürdigen Gemahlin Lydia schwarzen Refosk und goldenen Malvasia aus, nebst Karstschinken und anderen istrianischen Köstlichkeiten. Berto war es, der uns in die eigentliche Gesellschaft der uralten Stadt einführte.

Da saßen sie um die schweren Tische, die Piranesi aus venezianischem Geblüt sowie die im Laufe der turbulenten, mitunter tragischen Zeitläufte des 20. Jahrhunderts Zugewanderten: Slowenen, Kroaten, Serben, Kosovaren, ja, auch Untersteirer.

„Piran“, das leitet sich vom griechischen Wort „Pyros“, Feuer, her. Hier befand sich einstens ein Leuchtturm, an der mythischen Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, weil im Golf von Triest der Eingang zur Totenwelt gelegen sein soll. In seiner Aeneis berichtet Vergil über die antikischen Geheimnisse der Gegend, Dante Alighieri, der die Gegend wohl bereist hat, ortet die Pforten der Unterwelt im Landesinneren, in den Grotten von Skocjan oder der Schlucht von Pazin.

Eine von Mythen getränkte Landschaft, wo begüterte Römer ihre Villen errichteten, wo Byzanz die letzte Gloriole der römischen Zivilisation feierte, etwa in den überwältigenden Mosaiken der Kathedrale von Parenzo/Porec. Im Mittelalter tratzelte sich der Löwe von San Marco die Küste mit ihren kostbaren Salinen und verwandelte die Stadt in einen venezianischen Mikrokosmos.

Bis heute riecht es in den Gassen nach Venedig, nach Fisch, Katzenpipi, Käse und Lavendel. Der Turm des Domes über der Stadt ist eine Replik en miniature des Campanile von San Marco. Am Sockel eines der Fahnenmasten auf dem Tartini- Platz ist ein venezianischer Löwe, eigentlich ein Kater mit Flügeln, dargestellt, der keck verkündet: Siehe den geflügelten Löwen, ich halte die Meere, die Länder und die Sterne!

Nach dem zutiefst beklagenswerten Fall der Republik Venedig anno 1797 durch General Bonaparte sind die Küstenstädte Istriens zunächst österreichisch, kurzfristig französisch, aufs Neue österreichisch, nach dem Ersten Weltkrieg italienisch und nach dem Zweiten Weltkrieg jugoslawisch geworden. Heute befinden sie sich in Slowenien. Unauflösliche Durchdringungen der Gene, der Sprachen.

Bei Berto geht aber es nicht um ethnische Identitäten, es geht um die essenziellen mediterranen Lebensfragen seit Jahrtausenden: Wie ist der Wein geworden? Tragen die Olivenbäume? Es ist der Genius Loci der Stadt, der imstande ist, von weither zugewanderte Menschen in authentische Piranesi zu transmutieren, vorausgesetzt, sie fügen sich respektvoll in den istrianischen Lebensstil ein.

Selbstverständlich ist das nicht, denn da gibt es zwei Kategorien von Leuten: solche, die auf den ersten Blick dem kätzischen Zauber Pirans erliegen und ihr Lebtag nicht mehr von der Stadt lassen können, die jeden Pflasterstein mit den Füßen liebkosen und mit jeder der zahllosen Katzen in einen Dialog auf Augenhöhe treten, und eben die anderen, die Piran nicht aushalten. Diese haben hier eh nix verloren.

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