Die Drei Zinnen sind wie ein scheues Reh. Wer sich ihnen vom Fischleintal bei Sexten nähert, muss lange, schon fast unverschämt lange warten, bis sich dieses Dreigestirn endlich zeigt. Doch wenn sie auftauchen, erschauert man vor dieser Perfektion, vor solch unwirklicher Schönheit. Was vor Jahrmillionen einmal Riff, Lagune, Strand, Vulkan und Meerestiefe war, erhebt sich heute schroff, abweisend, aber ästhetisch perfekt als Dolomitenlandschaft über der Erde.

Die Drei Zinnen sind heute nicht nur beliebter Fotopunkt, um das Profil in den sozialen Medien aufzupolieren. An der Kleinen (2857 Meter), Großen (2999 Meter) und Westlichen Zinne (2973) wurde immer wieder Klettergeschichte geschrieben.Alexander Huber verwirklichte an der Großen Zinne „Free Solo“ sein Bravourstück: Die Begehung der Direttissima ohne Seil, Gurt und Sicherung. „300 Meter Leere unter mir. (...) Ich klebe ganz allein in dieser jetzt für mich so feindlichen Welt“, beschreibt Huber. Aber soweit muss man nicht gehen, um den Drei Zinnen nahe zu sein. Wer am Parkplatz am Dolomitenhof im Fischleintal sein Auto abstellt (oder aus dem Bus steigt), nähert sich schrittweise dem Herz der Dolomiten.

Bis zur Talschlusshütte ist es nicht weit, dort zweigt der Steig 102 nach rechts ab und führt immer steiler werdend unterhalb des Einserkofels und der Oberbachernspitzen zur Drei-Zinnen-Hütte auf 2405 Meter Seehöhe. Der Cappuccino in der Schutzhütte, die hier an der deutsch-italienischen Sprachgrenze liegt, schmeckt schon sehr italienisch. Das Wasser darf man hier auch „frizzante“ bestellen. Doch keine Sorge, in allen Hütten spricht man Deutsch und Italienisch.

Die Tour
Die Tour © Kleine Zeitung

Das Rifugio mit dem sagenhaften Ausblick auf die „Tre Cime di Lavaredo“ ist schon früh am Morgen gut besucht. Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es auf dem Weg 101 zur Büllelejochhütte(etwas über eine Stunde). Die kleinste, aber am höchsten gelegene Hütte im Naturpark Drei Zinnen, ist seit 1979 ein Familienbetrieb. Greti und Hubert Rogger haben aufgebaut, was jetzt Steffie Rogger und ihr Mann Niki weiterführen: „Wir sehen unsere Hütte als Verbindungspunkt, sie liegt ja an der Sprachgrenze.“ Und so gibt es südtiroler und mediterrane Gerichte. Das dort auf diesem kleinen Platz unterhalb der Oberbachernspitze überhaupt eine Hütte steht, ist kaum vorstellbar.

Die Büllelejochhütte
Die Büllelejochhütte © Andreas Kanatschnig

Steffie hat Linguistik studiert, sich dann aber für die Schutzhütte entschieden: „Die Stimmung hier oben ist jeden Tag anders. Man fragt uns oft, ob wir noch die Schönheit der Dolomiten sehen. Ja, man sieht auch die kleinen Details, aber auch die gesamte Schönheit.“ Schroff, imposant, ein Wahrzeichen – das kommt ihr in den Sinn.

Familie Rogger betreibt die Büllelejochhütte: Hubert Rogger, Anna, Luana und Daniel Rogger, Steffie Rogger mit Niki und Greti
Familie Rogger betreibt die Büllelejochhütte: Hubert Rogger, Anna, Luana und Daniel Rogger, Steffie Rogger mit Niki und Greti © Privat


Wer noch Puste hat, sollte den Weg zur östlichen Oberbachernspitze auf sich nehmen: Der Gipfel belohnt mit einer majestätischen Aussicht. Drei Zinnen, Einserkofel, Zwölferkofel – alle rücken ins Blickfeld. Auf der Rundtour fehlt nur noch die Zsigmondy-Comici-Hütte, benannt nach den Dolomitenerschließern Emil Zsigmondy (1861 bis 1885) und Emilio Comici (1901 bis 1940). Was gleich ins Auge sticht: das Trampolin, vielleicht das einzige in den Alpen überhaupt. Ein Cappuccino und der Blick auf die grandiose Wand des Zwölferkofels entschädigen noch einmal für den langen Marsch. Was hätten Janoschs Tiger und Bär (vielleicht) gesagt: Wer das gesehen hat, dem kann im Leben nichts mehr passieren.

Blick von den Oberbachernspitzen
Blick von den Oberbachernspitzen © Andreas Kanatschnig