Qubeibeh und Amwas – beide Orte haben gute Traditionen für sich, das Emmaus der Bibel zu sein. Aber nur Abu Gosch, wo die Jünger dem Auferstandenen wohl kaum begegnet sein dürften, ist tatsächlich einen Besuch wert. Diese dreifache Lokalisation ist selbst im Land der Bibel, in dem es zwei Kreuzigungs- und sogar zwei Grablegungsstätten Mariens gibt, eine Ausnahme. Zu erklären ist das Verwirrspiel leicht, zu klären hingegen nicht.

Es war am Tag der Auferstehung, an dem sich zwei Jünger Jesu nach Emmaus begaben. „Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen. Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen, sodass sie ihn nicht erkannten. Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? … Der eine von ihnen antwortete: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist? ... Das mit Jesus von Nazareth?“ Später laden sie den Fremden in ihr Haus ein, „denn der Tag hat sich schon geneigt ... Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn, dann sahen sie ihn nicht mehr“ (Lukas 24,13–35).

Nun könnte sich das Geschilderte sowohl im heutigen Qubeibeh als auch in Amwas zugetragen haben, wäre da nicht bei Lukas auch noch der Vermerk, dass Emmaus von Jerusalem „sechzig Stadien“ (ca. elf Kilometer) entfernt ist und dass die beiden „noch in derselben Stunde“ aufbrachen und nach Jerusalem zurückkehrten, wo sie „die elf und die anderen Jünger versammelt“ fanden. Nun sind die im Evangelium genannten 60 Stadien eine Entfernung, die man durchaus am Abend noch bewältigen kann, was für Qubeibeh spricht. Dennoch identifiziert Hieronymus (um 400 n. Chr.) Emmaus mit dem 160 Stadien (ca. 29 km) entfernten Amwas.

Was war geschehen? Das armselige Qubeibeh lag im Norden Jerusalems völlig im Abseits, Amwas hingegen an der belebten Pilgerroute von Jaffa nach Jerusalem, und hatte zudem sehr früh eine blühende christliche Kultur. Die kleine Manipulation, die darin bestand, den 60 Stadien einen Einser voranzustellen, wird dem Theologen Origenes (185–254) angelastet. Die Kreuzfahrer wiederum entdeckten diese Ungereimtheiten und lösten das Problem für sich so, dass sie keiner der beiden Lokalisationen den Vorzug gaben, sondern für sich einen dritten Ort zu jenem des biblischen Geschehens machten: Abu Gosch. Das passte ganz gut in ihre theologische Konzeption. Jesus sollte ihnen – wie seinen Jüngern – an jenem Platz begegnen, an dem sie sich unter Gottfried von Bouillon im Juli 1099 versammelten, um von hier aus Jerusalem zu erobern.

Wo die Bundeslade Station machte

Die Kreuzfahrer dachten wohl, das Land für lange Zeit in Besitz nehmen zu können. Warum sonst baut man eine Kirche mit drei Meter starken Außenmauern? Der überwältigende Eindruck dieser 1142 errichteten frühgotischen Kirche mit ihrem unversehrten Kreuzrippengewölbe gründet aber nicht in ihrer Massivität, sondern in ihrer Schlichtheit, die eine zusätzliche Bereicherung erfährt, wenn die Dominikaner des dazugehörigen Klosters ihre Choräle singen.

Auch wenn Abu Gosch nicht das biblische Emmaus ist, so hat es eine lange Tradition für sich. Hier im biblischen Kiryat-Jearim machte die Bundeslade, die die Philister von den Israeliten erbeutet hatten und die sie dann doch zurückgaben, Station (1 Samuel 6, 19–7,2), ehe sie nach Jerusalem verbracht wurde. Hier war auch – wie ein Stein in der Nordmauer der Kirche belegt – das Veteranenlager der zehnten römischen Legion, der „legio X fretensis“, die maßgeblich an der Eroberung und Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) und an jener der Trutzburg Masada (73 n. Chr.) beteiligt war.

Die Freude des heutigen Ostersonntags ist das leere Grab. Freilich: Die Auferweckung von den Toten wird im Neuen Testament nirgendwo genau erzählt. Viele Theologen argumentieren, dass dies nur konsequent sei, denn es sei schließlich niemand dabei gewesen, sondern man habe bloß die Folge daraus gesehen: „Er ist nicht hier“, heißt es im Markusevangelium. Das wiederum hat zu Spekulationen geführt. Um solchen entgegenzuwirken, schildert Matthäus (27, 62ff), dass sich die Hohepriester und die Pharisäer daran erinnern, dass Jesus von seiner Auferstehung „am dritten Tag“ gesprochen habe. Aus Angst, dies könne tatsächlich geschehen, „gehen sie zu Pilatus und bitten um eine Bewachung des Grabes: Pilatus antwortete ihnen: Geht und sichert das Grab, so gut ihr könnt!“ Damit belegt der Evangelist, dass der Leichnam nicht gestohlen wurde, sondern auferstanden ist.

Nach der jüdisch-christlichen Tradition gibt es keinen Tod, der nicht unter dem Aspekt der Auferstehung gesehen wird. Der älteste Beleg dafür findet sich beim Propheten Hosea im 8. vorchristlichen Jahrhundert: „Auf, lasst uns zum Herrn zurückkehren! Denn er hat uns gerissen, er wird uns auch heilen; er hat verwundet, er wird uns auch verbinden. Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf und wir leben vor seinem Angesicht!“ Diese Worte haben zwar nicht direkt mit Jesus zu tun, sondern beziehen sich auf eine damals äußerst schwierige Lage des Volkes Israel. Es wird aber erstmals der „dritte Tag“ genannt, der die Wende vom Tod zum Leben bringt. So war es auch beim Propheten Jona, der „drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches“ verbrachte.

Jesus, der predigt, dass „die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und herauskommen werden“ (Joh, 28 f) ist tief in einer semitischen Tradition verwurzelt, die besagt, dass die Ganzheit eines Menschen mit der Auferstehung wiederhergestellt wird. Wenn auch nicht unbedingt in einem materiellen Sinn.

An die Auferstehung von den Toten zu glauben, ist eine Herausforderung. Nicht einmal die Jünger, die Jesus drei Jahre lang gefolgt waren, haben dies uneingeschränkt getan, wie das Beispiel des ungläubigen Thomas (Joh 20, 24–29) zeigt: „Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: … Wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“

Wie also soll der Mensch des 21. Jahrhunderts die Botschaft von Ostern begreifen? Vielleicht begegnet uns der Auferstandene in der Gestalt unserer Mitmenschen häufiger, als wir das vermuten. Und wie die Emmaus-Jünger erkennen wir ihn auch oft nicht.

Schluss der Serie

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