Am Fuß des Ölbergs liegt der Garten Gethsemani, hebräisch Gat Schmanim, der „Öl-Kelter“. Tatsächlich finden sich hier in einem kleinen abgegrenzten Hain, den die Franziskaner verwalten, knapp 20 Bäume, von denen acht sehr alt sind. Auch wenn Touristen immer wieder erklärt wird, diese knorrigen Bäume seien jene, unter denen Jesus gebetet habe, stimmt das nicht. Untersuchungen vor wenigen Jahren in Italien und auch in Wien ergaben, dass die acht Bäume aus der Kreuzfahrerzeit stammen und damit rund 800 Jahre alt sind.

Entscheidend ist aber nicht das Alter, sondern dass es in Jerusalem mit all seinen Kirchen und Kapellen kaum einen Ort gibt, an dem das Mensch-Sein Jesu so greifbar wird wie in diesem Garten. „Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf die Erde nieder und betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe. Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir!Aber nicht was ich will, sondern was du willst, soll geschehen. Und er ging zurück und fand sie (Anmerkung: Petrus, Jakobus und Johannes) schlafend (MK 14,34–37).“

Unmittelbar neben dem Olivengarten befindet sich die 1924 eingeweihte Kirche der Todesangst Jesu, oft auch als „Kirche der Nationen“ bezeichnet, weil dafür auf der ganzen Welt Spenden gesammelt wurden. Sie steht am Ort eines bereits 395 von Kaiser Theodosius I. errichteten Baus. Die Kirche ist auf einen nackten Stein hin ausgerichtet, der unmittelbar vor dem Altar liegt und als jener Felsen verehrt wird, an dem Jesus gebetet hat. Der Besucher kann die bedrückende Stimmung der biblischen Erzählung gut nachempfinden, denn durch die violetten Alabasterfenster bleibt der Raum selbst beim gleißenden Sonnenschein des Orients stets in ein Halbdunkel gehüllt.

In der Leidensgeschichte Jesu ist das Kidron-Tal, wo Jesus verhaftet wird, der Anfang des Prozesses gegen ihn, der mit dem Kreuzestod auf Golgota endet. Das in der Antike wesentlich tiefere Tal, das die Stadt im Osten vom Ölberg trennt, wurde in der jüdischen und frühchristlichen Tradition auch als das Tal Joschafat – „der Herr hält Gericht“ – bezeichnet. „Die Völker sollen aufbrechen und heraufziehen zum Tal Joschafat. Denn dort will ich zu Gericht sitzen über alle Völker ringsum“, schreibt der Prophet Joel (4,12). Geschehen soll dies am „Jüngsten Tag“, an dem der Herr als Messias kommt und das Ende der Tage ausbricht. Das Kidron- oder Joschafat-Tal, ein Ort des Todes, der viel Hoffnung in sich birgt.

Es sind Tausende jüdische Gräber, die sich im und über dem Kidron-Tal eng aneinanderreihen. Der Platz für neue Grabstätten ist rar geworden, und wer sich hier bis zum „Jüngsten Tag“ zur Ruhe betten lassen will, muss tief in die Tasche greifen. Von 50.000 Dollar und mehr ist die Rede. Der Ort ist prominent, denn Juden wie auch Christen erwarten hier die Ankunft des Messias am Ende der Zeiten.

Den Hintergrund liefert der Prophet Sacharja (14,3f), der schreibt: „Doch dann wir der Herr hinausziehen und gegen diese Völker kämpfen wie am Tag seines Kämpfens, am Tag der Schlacht. Seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der im Osten gegenüber von Jerusalem liegt. Der Ölberg wird sich von seiner Mitte her spalten nach Osten und Westen zu einem großen Tal.“ An diesem letzten irdischen Tag, dieser apokalyptischen Schlacht des Guten gegen das Böse, werden auch die Toten zu neuem Leben erweckt werden, wie Ezechiel (37,5f) prophezeit: „So spricht Gott, der Herr, zu diesen Gebeinen: Siehe, ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. Ich gebe euch Sehnen, umgebe euch mit Fleisch und überziehe euch mit Haut.“

Im Zentrum liegt Jerusalem

Die Vorstellung, dass der Messias hoch über dem Kidron-Tal am Höhenrücken des Ölbergs im Osten Jerusalems erscheint, verfestigte sich auch im Christentum und blieb lange erhalten, wie die Ebstorfer Weltkarte aus dem gleichnamigen Benediktinerkloster in der Lüneburger Heide belegt. Die Karte aus dem 13. Jahrhundert war zur Zeit ihres Entstehens mit einem Durchmesser von 3,6 Metern die größte kartografische Darstellung der Welt. Sie hatte 2300 Text- und Bildeinträge, und dennoch war sie keine geografische, sondern eine theologische Karte. Oben ist der Osten mit einer Darstellung des Paradieses und einem Porträt von Jesus, in ihrem Zentrum liegt Jerusalem. Dem Ölberg gegenüber im Westen, wo die Sonne untergeht, liegt auf der Karte Gibraltar, damals das geografische Ende der Welt. Über den beiden Felsen links und rechts der Meerenge soll Hades, in der altgriechischen Mythologie der Herr der Unterwelt, ein Transparent mit der Warnung „non plus ultra“ ausgespannt haben: „Nicht darüber hinaus“. Als dann wagemutige Seemänner dieses Ende der Welt doch nicht akzeptierten und in weiterer Folge sogar Amerika entdeckten, wurde das „non“ gestrichen. Bis heute steht auf den beiden Säulen der spanischen Flagge die Ermutigung: „plus ultra“ – „darüber hinaus“.

Warten auf den Messias

Eine Dame der Londoner Gesellschaft hatte in den 1920er-Jahren die fixe Vorstellung, dass sie der erste Mensch sein würde, mit dem der Messias seinen Five o’Clock Tea trinken werde. Tatsächlich scheute sie keine Mühen und reiste Jahr für Jahr aus England für mehrere Monate nach Jerusalem. Jeden Tag am Nachmittag zog sie mit ihrem Diener und ihrem Esel von der Stadt auf den Ölberg. In den Satteltaschen hatte sie ein feines englisches Teeservice. Oben wartete sie – täglich, und das mehrere Jahre hindurch Monat für Monat –, bis der Messias erscheinen würde. Sie wartete vergebens. Dabei bedachte sie wohl nicht, dass der Erlöser nach biblischer Vorstellung mit der aufgehenden Sonne kommen werde. Von fünf Uhr nachmittags ist nirgendwo die Rede.

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