21 Jahre lang war Jörg Kirschner ohne Argwohn: Das Kind, für das er seit der Scheidung von der Kindesmutter (die Ehe hielt nur zwei Jahre lang) Alimente bezahlte, war für ihn zweifellos seine Tochter - auch wenn die beiden in Wahrheit keinen Kontakt miteinander hatten. „Meine Ex-Frau hat das immer verhindert, da haben auch mehrere Gerichtsverhandlungen und Beschlüsse für ein regelmäßiges Besuchsrecht nicht geholfen“, schildert der 45-Jährige seine Situation.

Im März 2018 geriet dann gewissermaßen seine Welt ins Wanken: „Jemand aus dem Umfeld meiner Ex-Frau hat mir gesagt, dass er von ihr immer wieder gehört habe, ich sei nicht der leibliche Vater des Kindes.“ Das saß tief. Kirschner begann die Vaterschaft ernsthaft zu hinterfragen und zog den Wiener Rechtsanwalt Hermann Schwarz zu Rate. „Ich wollte wissen, ob ich nach so langer Zeit überhaupt noch irgendetwas machen kann. Zuerst wollte ich nur den Vaterschaftstest, an die Rückforderung der Alimente habe ich da noch gar nicht gedacht“, sagt er.

Hermann Schwarz (in diesem Fall von seinem Mandanten von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden) klärte Kirschner über die juristischen Möglichkeiten auf. Wichtig zu wissen: Der erste Schritt für betrogene Männer in Kirschners Situation ist immer eine sogenannte Vaterschaftsanfechtung bei Gericht, die mit der Einholung eines DNA-Tests durch ein qualifiziertes Institut verbunden ist. In Kirschners Fall war danach klar: Der biologische Vater des Kindes ist ein anderer. Die gerichtliche Anfechtung der Vaterschaft war somit erfolgreich.

„Erst wenn dieser Schritt getan ist, kann sich ein Mann überlegen, ob er wegen des Kindesunterhalts Ersatzansprüche geltend machen will“, sagt Schwarz. Die erste Adresse für eine Rückforderung der im falschen Glauben geleisteten Alimentationszahlungen – in Kirschners Fall mehr als 76.000 Euro – ist freilich der biologische Vater des Kindes. „Der Scheinvater, um den juristischen Fachbegriff für Männer in Kirschners Situation zu nennen, hat aber kein Recht auf Ermittlung oder gar Feststellung des biologischen Kindesvaters, die Mutter muss den Namen grundsätzlich nicht nennen“, wie Schwarz erklärt. In Kirschners Fall verweigerte die Mutter zuerst tatsächlich diese Auskunft und wäre deshalb selbst zur Haftung herangezogen worden. Wohl um die wirtschaftliche Katastrophe für sich abzuwenden, gab sie den Namen dann aber doch preis.

Langer Rede kurzer Sinn: Der biologische Vater ging daraufhin in Privatkonkurs - die Insolvenzquote beträgt aber immerhin 35 Prozent. Die wegen des Ausfalls ebenfalls belangte Kindesmutter verpflichtete sich mit gerichtlichem Vergleich zur Zahlung von 20.000 Euro. Und das erwachsene Kind muss Kirscher in Raten jene 14.700 Euro Unterhalt (plus Zinsen) zurückzahlen, die es nach Vorliegen des negativen Vaterschaftstests noch vereinnahmt hat.

Wie es dem Scheinvater zwei Monate nach Abschluss aller Verfahren geht? „Ich war überrascht, wie reibungslos das alles bei mir letztlich gelaufen ist und ich bin froh, dass ich den Großteil meines Geldes zurückbekomme – aber mit einer guten Beziehung zum Kind hätte ich das alles wahrscheinlich nicht gemacht,“ sagt Kirschner.

Fünf Fragen an den Rechtsanwalt

  1. Sie haben in den vergangenen 15 Jahren als Anwalt Dutzende Kuckuckskindfälle auf dem Tisch gehabt. Dahinter stecken vielfach sicher unbeschreibliche familiäre Dramen. Was ist der häufigste Auslöser für Männer, eine Vaterschaft anzufechten?
    Hermann Schwarz: Das Leben ist bunt und genauso bunt sind die Gründe: Nicht selten kommt vor, dass nach Trennungen der neuen Partnerin des Mannes dessen fehlende Ähnlichkeit mit dem Kind auffällt - oder Gerüchte aus dem Bekanntenkreis befördern die Zweifel.

  2. In diesem Geflecht aus vermutlich tiefer Kränkung, berechtigter Empörung und doch auch Liebe zum Kind, das nicht das eigene ist: Welchen Rat geben Sie da?
    Hermann Schwarz: Das Anfechtungsrecht muss binnen zwei Jahren ab Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände bzw. nach Entdeckung der Täuschung ausgeübt werden. Vage Gerüchte lösen diese Frist übrigens nicht aus, es müssen schon ganz konkrete Umstände vorliegen. In der Praxis ist das freilich ein häufiger Streitpunkt, Gesetzeslage und Judikatur kommen hier eher den Männern zugute.

  3. Dafür hat er aber nicht ewig Zeit. Welche Verjährungsfristen gibt es bei Scheinvaterschaften?
    Hermann Schwarz: Das Anfechtungsrecht muss binnen zwei Jahren ab Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände bzw. nach Entdeckung der Täuschung ausgeübt werden. Vage Gerüchte lösen diese Frist übrigens nicht aus, es müssen schon ganz konkrete Umstände sein. In der Praxis ist das freilich ein häufiger Streitpunkt, die Judikatur ist hier aber eher männerfreundlich.

  4. Mit dem 30. Geburtstag des Kindes ist es mit den Möglichkeiten einer Anfechtung der Vaterschaft aber vorbei?
    Hermann Schwarz: Diese Ausschlussfrist wurde neu erst 2005 eingeführt. Der OGH entschied, dass die Frist erst mit Inkrafttreten der Gesetzesänderung zu laufen beginnt. Bis 2035 wird es also noch Altfälle geben, bei denen die Kinder schon über 30 Jahre alt sind.

  5. Wenn es weder einen finanzkräftigen biologischen Vater noch eine vermögende Kindesmutter gibt, die zur Rückzahlung verpflichtet werden können: Hat dann die Vaterschaftsanfechtung überhaupt einen Sinn?
    Hermann Schwarz: Zu bedenken ist, dass eine erfolgreiche Anfechtung vor allem auch massive erbrechtliche Auswirkungen hat. Ohne sie erbt das Kind auf jeden Fall vom Mann.