Ein sonniger Tag im winterlichen nordnorwegischen Reine – es schneit nur im Halbstundentakt. Einheimische und Touristen genießen den Kaffee mit Blick auf den Reinebringen, der seine Flanken in der Wintersonne wärmt. Googelt man den Berg, erhält man „Postkartenmotiv der Lofoten“. Deshalb wird die Stille auch immer wieder von einer Frage durchbrochen: „Wie kommt man da rauf? Das wäre ein tolles Foto!“ Einheimischen bleibt nur Kopfschütteln mit der Bitte, den Berg nicht zu besteigen. „It’s dangerous!“ Nur als Notiz: Der Berg ist für Profis eine Herausforderung und bei winterlichen Verhältnissen tabu. Aber warum nicht hinaufsteigen, wenn es so viele andere getan haben? Die Schattenseiten des Instagram-Tourismus. Eine Welt durch die Kamera gesehen – Tunnelblick per Klick.

Höhepunkte digitaler Selbstdarstellung

Nicht nur der Reinebringen ist beliebtes Selfiemotiv im hohen Norden. Auch der Preikestolen oder die Trolltunga sind – im wahrsten Sinne des Wortes – Höhepunkte digitaler Selbstdarstellung. Zwischen 2011 und 2016 hat sich die Besucherzahl auf der Trolltunga mit grandiosem Blick auf den norwegischen Sørfjord von 1000 auf 100.000 verhundertfacht. Die beeindruckenden Fotos locken jedes Jahr noch mehr Menschen die Felswände hoch. Nachdem 2015 ein australischer Student auf der Suche nach dem perfekten Foto in den Tod stürzte, wurde von der norwegischen Tourismusagentur „Besafie“ ins Leben gerufen. „Menschen gehen extreme Risiken ein, um das perfekte Bild zu bekommen. Ein Selfie ist es nicht wert, zu sterben“, steht im Infotext zu der Aktion.

Am Rand der Zurechnungsfähigkeit

Nicht nur Berge, auch Bahngleise, Bären, Haie, Waffen oder Wasserfälle locken immer wieder Menschen an den Rand der Zurechnungsfähigkeit fürs gelungene Selbstporträt. Vor Kurzem stürzte in Portugal ein Paar 40 Meter in den Tod, beim Versuch, das Handy, das den beiden aus der Hand gefallen sein dürfte, noch zu erwischen. Im Vorjahr wurde ein 22-jähriger Schotte beim Selfieschießen auf einer Autobahn von einem Auto erfasst und starb. Amerikanische Forscher haben das Phänomen schließlich in der Studie „Me, Myself and My Killfie“ untersucht. 127 Todesfälle, die auf Selfies zurückzuführen sind, nahmen sie unter die Lupe: In 68 Prozent der Fälle waren die Menschen unter 24 Jahre alt, die meisten von ihnen verunglückten bei Stürzen von Bergen, durch Ertrinken oder bei Unfällen mit Zügen.

Selfie mit Hai
Selfie mit Hai © Barcroft Media via Getty Images (Barcroft Media)

Bei Monika Melcher vom Österreichischen Alpenverein halten sich die Geschichten über riskante Selfieversuche noch in Grenzen. Trotzdem weisen auch die Experten darauf hin, sich im Gelände mit Stolpergefahr auf den Weg und nicht aufs Handydisplay zu konzentrieren. „Also, wenn die Insta-Story genau in diesem Moment sein muss, bewusst an einem sicheren Ort bleiben und sich aufs Gleichgewicht konzentrieren und nicht auf den Bildausschnitt.“ Melcher führt aber einen weiteren Punkt an, den Einfluss von Social Media auf das Bergerlebnis an sich. „Wie wirkt es sich aus, wenn man die Tour unterwegs schon gedanklich für seine Follower aufbereitet? Bin ich dann bei der Sache und genieße das Hier und Jetzt?“ Genuss und Erholung scheinen aber vor allem für die junge Zielgruppe nicht mehr ausschlaggebend zu sein, sondern ob das Urlaubsziel Instagram-tauglich ist. Eine Versicherungsfirma hat 18- bis 35-Jährige befragt, was für sie bei der Wahl der Urlaubsdestination entscheidend sei. Für 40 Prozent war es der Umstand, ob sie sich auf Instagram besonders gut machen würde.

Zurück nach Norwegen, wo in Gästebüchern nur noch selten Holzofen, Fjord oder Natur gelobt werden, sondern die perfekte Lage für perfekte Fotos.