Eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) scheint die Hauptursache für die Ausbildung einer Multiplen Sklerose (MS) zu sein. Dieser Zusammenhang wurde nun in einer umfassenden Studie bestätigt, die im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurde. "Die Autoren kommen zum Schluss, dass das Risiko, an MS zu erkranken, 32-fach größer ist bei Menschen, die vom Virus infiziert wurden, als bei Menschen, die das Virus nicht tragen, was eine erhebliche Zahl darstellt. So ein hohes Risiko kennt man zum Beispiel für Rauchen und Lungenkrebs", unterstreicht Henri-Jacques Delecluse, Leiter der Arbeitsgruppe Pathogenese infektionsbedingter Tumoren, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg die Aussagekraft der Daten. 

Die US-amerikanischen Studienautoren analysierten hierfür Blutproben von über zehn Millionen Militärangestellten, die in ihrer Berufslaufbahn jährlich mit einer Blutentnahme routinemäßig auf HIV getestet werden. Sie identifizierten 801 Personen mit Multipler Sklerose und untersuchten deren Blutproben auf Antikörper gegen EBV, welches das Pfeiffersche Drüsenfieber verursachen kann. Bei 35 Personen mit MS konnten keine Antikörper gegen EBV nachgewiesen werden – sie waren zum Zeitpunkt der ersten Blutprobe also noch nicht mit EBV infiziert und daher seronegativ.  Vor dem Ausbruch der Multiplen Sklerose infizierten sich allerdings 34 der 35 Personen mit dem Virus und entwickelten auch Antikörper gegen EBV. Die EBV-Seropositivität war zum Zeitpunkt der MS-Entwicklung nahezu allgegenwärtig, nur einer der 801 MS-Fälle war zum Zeitpunkt des Ausbruchs EBV-seronegativ.

Die Suche nach den Biomarkern

Die Studienautoren konnten anhand der Blutproben auch zeigen, dass bei den Personen, die ursprünglich EBV-negativ waren, anfänglich auch keine Biomarker für MS nachweisbar waren, diese dann aber in Blutproben nach der EBV-Infektion aber noch vor Einsetzen von MS-Symptomen detektierbar wurden. "Dies spricht dafür, dass der Krankheitsprozess tatsächlich erst mit dem Beginn der Infektion eingesetzt hat", sagt Roland Martin, Gruppenleiter Neuroimmunologie und Multiple Sklerose, Universitätsspital Zürich gegenüber dem Science Media Center.

Aber: Der Mechanismus hinter einer Ausbildung von MS im Zusammenhang mit einer EBV-Infektion ist noch nicht geklärt. Mehr als 90 Prozent der Menschen infizieren sich in ihrem Leben mit EBV, aber nur wenige erkranken nachfolgend an MS, obwohl das Virus bei allen Menschen lebenslang im Körper verbleibt. Bei MS-Patienten spielen nachweislich aber auch noch andere Parameter wie genetische Faktoren eine Rolle, die im Zusammenspiel mit der EBV-Infektion zu MS führen. "Auch eine Reihe weiterer Umweltrisikofaktoren sind neben einer EBV-Infektion im Zusammenhang mit MS zu nennen: niedriges Vitamin D, Rauchen, Fettleibigkeit im späten Kindes- beziehungsweise frühen Erwachsenenalter, Schichtarbeit beziehungsweise ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus in diesem Alter sowie bestimmte Darmbakterien", sagt Martin.

Perspektiven für die Behandlung von Multipler Sklerose

Ein direkter Zusammenhang einer EBV-Infektion mit MS ermöglicht nun Perspektiven, MS zu therapieren beziehungsweise zu verhindern, indem man eine EBV-Infektion möglichst früh mit antiviralen Medikamenten therapiert oder durch eine eventuelle Impfung abwendet. In Bezug auf eine schnelle neue Therapiemethode bzw. eine Impfung dämpft Klemens Ruprecht, Leiter der Multiple-Sklerose-Ambulanz, Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie, Charité, die Hoffnungen etwas: "Theoretisch bedeutet der kausale Zusammenhang zwischen EBV und MS, dass eine Impfung gegen EBV die Entstehung einer MS verhindern sollte. Praktisch stehen derzeit aber keine zugelassenen EBV-Impfstoffe zur Verfügung."