Der Schutz vor Infektionen und durch übertragbare Krankheitserreger ausgelöste Erkrankungen ist das primäre Ziel von Impfungen. Doch der Effekt von Vakzinen reicht offenbar weit darüber hinaus. Aus aktuellen internationalen Studien lässt sich zusätzlicher Schutz gegen Herzinfarkt, Schlaganfall und beispielsweise auch gegen Demenz ableiten.

"Die Menschen werden immer älter. Zu gesundem Altern führt aber ein lebenslanger Prozess. Aus Zwillings-Studien wissen wir, dass drei Viertel von Gesundheit bzw. Krankheit auf Umweltfaktoren beruhen", sagt Mark Doherty, leitender Medical Affairs Manager des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK), bei einer von der britischen Botschaft und dem britischen Pharmakonzern GSK organisierten Online-Diskussion zum Thema Impfungen als lebenslanges Konzept.

Zu "Umweltfaktoren" gehören auch Infektionserkrankungen, die per se gefährlich sein können, aber offenbar auch kurz-, mittel- und langfristige weitere Konsequenzen haben. Doherty: "Eine Atemwegsinfektion führt in den ersten drei Tagen bei über 18-Jährigen zu einem um das Fünffache gesteigerten Herzinfarkt- und zu einem um das Dreifache gesteigerten Schlaganfallrisiko. Diese erhöhte Gefährdung hält bis zu drei Monate an." 14 Tage nach der Infektionskrankheit liegt demnach die Infarkthäufigkeit noch beim Dreifachen nicht infizierter Personen, die Häufigkeit eines Schlaganfalls beim Doppelten." Das ließe sich etwa durch die Influenza-Impfung verhindern.

Neu sind laut Doherty in diesem Zusammenhang Daten zur Varicellen-Impfung gegen Herpes zoster, die älteren Menschen zur Vorbeugung der Gürtelrose angeraten wird. Belegt wurde dies in den USA. Der GSK-Manager: "Dort hat man nach Herpes-zoster-Impfung an rund 200.000 Menschen gezeigt, dass sich das Schlaganfallrisiko bei den 60- bis 64-Jährigen um zwölf Prozent, bei den 65- bis 69-Jährigen gar um 51 Prozent reduzierte."

Offenbar setzen - durch Impfung vermeidbare - Infektionskrankheiten Schäden, die längerfristig negative gesundheitliche Konsequenzen haben. Doherty: "Man hat zum Beispiel Morbus Alzheimer lange Zeit auf die Ansammlung bestimmter Protein-Plaques im Gehirn zurückgeführt und diese durch Therapien zu verhindern versucht. Das gelingt. Aber man verhindert dadurch nicht die Demenz." Derzeit neige man in der Wissenschafter wieder mehr dazu, Amyloid-Beta oder Tau-Protein-Ablagerungen eher als die Folge als die Ursache für Morbus Alzheimer zu betrachten. Am Beginn könnten durchgestandene Infektionen stehen.

Große Beobachtungsstudien sprechen mittlerweile für einen vor Demenz schützenden Effekt verschiedener Impfungen: Erst am 15. September veröffentlichte ein Team um Timothy Wiemkem (Saint Louis University/USA) in der Fachzeitschrift "Vaccine" eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Influenza-Impfung und Demenzrisiko bei älteren Menschen. Bei von der "US-Veterans Health Administration" Betreuten im Alter von durchschnittlich 75,5 Jahren (96 Prozent Männer) wurden die Daten von insgesamt rund 120.000 Personen ausgewertet.

Fazit: Wer sich mindestens vor sechs Wintersaisonen gegen die Erkrankung per Impfung schützen ließ, hatte gegenüber Vergleichspersonen mit keiner oder weniger Impfungen ein um zwölf Prozent geringeres Demenzrisiko. Das war statistisch signifikant.

In der US-Wissenschaftszeitschrift PlosOne erschien von der gleichen Studiengruppe erst am 17. November eine ganz ähnliche Untersuchung mit Daten von 136.000 bei der US-Veteranenbehörde Versicherten und einer Vergleichsgruppe von 172.000 Personen. Die Angehörigen beider Gruppen im Alter von über 65 Jahren waren zu Beginn des Beobachtungszeitraums (2008) ohne Demenzdiagnose. Die Wissenschafter um Geoffrey Scherrer als Erstautor: "Die Herpes-zoster-Impfung war im Vergleich zu Nicht-Geimpften mit einem signifikant geringeren Demenzrisiko verknüpft." Bei den Immunisierten hatte man bis 2019 eine um 31 Prozent reduzierte Häufigkeit von auftretender Demenz registriert.

Auch Studien aus Taiwan hatten zuvor bereits auf einen derartigen Schutzeffekt von Impfungen hingewiesen. Ergänzt wird das durch eine im Juli dieses Jahres von Christian Schnier (University of Edinburgh) und seinen Co-Autoren als Preprint publizierten wissenschaftlichen Arbeit mit den Daten von 336.341 Personen aus Wales, von denen 155.972 die Herpes-zoster-Impfung erhalten hatten. 48 Prozent waren nach 1943 geboren worden. Der Beobachtungszeitraum zum Ausbruch einer Hirnleistungsstörung erstreckte sich von 2013 bis 2020.

Die Wissenschafter: "Geimpfte Personen hatten ein verringertes Risiko für eine Demenz." Die Häufigkeit war um 28 Prozent reduziert. Es scheint, als wäre die Korrelation zwischen Impfung und durch Gefäßschäden hervorgerufener Demenz stärker als jene mit Morbus Alzheimer. Allerdings gibt es Einschränkungen zur Aussagekraft solcher Beobachtungsstudien: Sie können keinen ursächlichen Zusammenhang klären. Menschen, die sich impfen lassen, können sich von Angehörigen der Vergleichsgruppe unterscheiden.

In Österreich waren kostenlose Impfungen bis vor kurzem vor allem auf die Kinderimpfungen beschränkt. David Taylor vom University College London: "Impfungen haben einen enormen Effekt. Bei den Kosten machen sie hingegen nur 0,5 bis ein Prozent der Gesundheitsausgaben aus. Für Erwachsene und ältere Menschen gibt es in Großbritannien etwa 14 kostenlose Impfungen wie zum Beispiel gegen Keuchhusten (Auffrischung), Herpes zoster, Influenza und Pneumokokken.