Nachdem die Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen Anfang Juli 2021 den weltweit ersten erfolgreichen Heilungsversuch bei einem 59-jährigen Long-Covid-Patienten verkündet hatte, sind nun zwei weitere Patienten dank des Medikaments BC 007 laut der Klinik auf dem Weg der Besserung. Das Team der Augenklinik hat erneut zwei Therapieversuche durchgeführt. Ein 51-jähriger Mann und eine 39-jährige Frau erhielten den Wirkstoff BC 007 im Rahmen einer einmaligen je 75-minütigen Infusion und blieben danach drei Tage unter stationärer Kontrolle. Seitdem wird ihr Gesundheitszustand ambulant weiter überwacht. Die verbesserte Leistungsfähigkeit und Lebensqualität sei bei beiden Betroffenen deutlich spür- und messbar.

Eigentlich ein Herzmedikament 

Wie schon bei dem ersten behandelten Patienten soll BC 007 auch bei Patient zwei und Patientin drei zeitnah zum Abklingen der Long-Covid-Symptome geführt haben. Doch wie ist das möglich? „Nach einer Covid-19-Erkrankung zirkulieren spezielle Autoantikörper im Blut. Diese richten sich gegen den eigenen Organismus und können zum Beispiel bestimmte Körperstrukturen schädigen und die Durchblutung beeinträchtigen“, erklärt Augenärztin Bettina Hohberger. Das Medikament BC 007 wurde vor einigen Jahren eigentlich für Patientinnen und Patienten mit einer schweren Herzerkrankung entwickelt und könnte nun gegen Long Covid zum Einsatz kommen.

„Bei den beiden aktuell Behandelten sehen wir: BC 007 neutralisiert die schädlichen Autoantikörper, und die retinale Mikrozirkulation verbessert sich – also die Durchblutung in den feinsten Blutgefäßen des Auges. Das können wir nachweisen. Außerdem haben die klinischen Long-Covid-Symptome bei beiden Behandelten abgenommen“, bestätigt Hohberger.

Ein Patient berichtet

Der zweite Patient, der den Wirkstoff gegen Long Covid erhielt, ist der 51-jährige Oliver G. Im Mai 2020 riss ihn eine Corona-Infektion mitten aus dem Leben. Bis dahin war Oliver G. ein erfolgreicher, international tätiger Manager gewesen, mehrfacher Ironman und Skilangläufer mit einem gesunden Lebensstil. Infolge seiner Covid-19-Erkrankung litt er plötzlich unter starken Erschöpfungszuständen, Gleichgewichts-, Koordinations- und Gedächtnisstörungen sowie unter Muskelzuckungen und einem starken Zittern der rechten Hand und des Arms (Tremor). „Das Zittern war so stark, dass es bis ins Bein ausstrahlte. Ich dachte irgendwann, ich habe Parkinson“, berichtet der Patient, der seinen fordernden Beruf im Vertrieb bereits im Mai 2020 aufgeben musste. „Ich war völlig desorientiert und unkonzentriert und versuchte einfach nur, zu überleben. Ich war ein Abziehbild meiner selbst – ein Zombie und nicht ich.“

Eine berufliche Wiedereingliederung in seiner Firma musste er nach drei Monaten abbrechen. „Ich konnte Gesprächen nicht mehr folgen, keine Präsentationen erstellen oder Verhandlungen führen und brauchte bei allem die Unterstützung von Kollegen. Zu Hause stellten mich die kleinsten Alltagstätigkeiten vor extreme Herausforderungen, sodass ich zeitweise sogar eine Haushaltshilfe brauchte. Lesen, etwas im Garten machen, mit meinem Hund Gassi gehen – nichts ging mehr. Wegen der Gleichgewichtsprobleme waren auch Fahrrad-, Motorrad- und Autofahren nicht mehr möglich. Dazu kamen Existenzängste, Panikattacken und eine Art Gefühlsinkontinenz, wie ich es nenne: Ich konnte meine Emotionen überhaupt nicht mehr regulieren.“ Den Sport, der für Oliver G. immer ein wichtiger Ausgleich gewesen war, konnte er nicht mehr ausüben.

Erfolgreicher Heilungsversuch

Anfang Juli 2021 erfuhr der 51-Jährige schließlich vom ersten erfolgreichen Heilversuch gegen Long Covid und wandte sich an die Augenklinik des Uni-Klinikums Erlangen – Ende Juli erhielt er die Infusion mit BC 007. Die Autoantikörper wurden neutralisiert, und die Durchblutung, verbesserte sich. Schon am Tag nach der Medikamentengabe verzog sich der Gehirnnebel und die Muskelzuckungen ließen nach. An Tag zwei wich der Tremor. Im Lauf der ersten Woche besserten sich Gleichgewicht, Erschöpfungszustände, Koordination und Gedächtnisleistung deutlich. „Meine körperliche, kognitive und psychische Leistungsfähigkeit ist zurückgekehrt. Das Dahinvegetieren hat ein Ende; ich kann wieder klar denken, Freude empfinden und bin emotional stabil“, sagt der Patient und freut sich: „Im September fange ich wieder an, in meiner alten Position zu arbeiten.“

Auch Patient Nummer eins – dem 59-jährigen Bankkaufmann  – geht es drei Monate nach dem initialen Heilversuch am Uni-Klinikum Erlangen weiterhin gut. Er hat keine Long-Covid-spezifischen Beschwerden mehr, fühlt sich fit und ist aktiv.

Christian Mardin, leitender Oberarzt der Augenklinik, betont: „Eine vierte Behandlung mit BC 007 haben wir kürzlich noch durchgeführt. Jetzt wird es keine weiteren Heilversuche bei Patientinnen oder Patienten mit Long Covid mit dem Medikament BC 007 mehr geben. Wir haben beim Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Antrag auf Fördergelder gestellt und hoffen, dass er bewilligt wird. Dann könnten wir vielleicht noch dieses Jahr mit einer klinischen Studie starten.“ Menschen mit Long-Covid-Symptomatik können sich bis dahin per E-Mail an recover.au uk-erlangen.de wenden und werden kontaktiert, wenn die Studie startet und informiert, ob sie dafür infrage kommen.