Das Reizdarmsyndrom wird bisher nur im Ausschlussverfahren diagnostiziert. Wiener Forscher konnten nun aber nachweisen, dass ein Reizdarm zumeist dann vorliegt, wenn im Darm endoskopisch sichtbare bakterielle Biofilme vorkommen. "Damit ist es uns erstmals gelungen, eine Ursache des Reizdarmsyndroms aufzuzeigen und gleichzeitig auch zu zeigen, wie man diese Erkrankung besser beurteilen, klassifizieren und einschätzen kann", erläuterte Studienleiter Christoph Gasche am Freitag.

Jede sechste Frau und jeder zwölfte Mann in Österreich leiden unter einem Reizdarmsyndrom - das sind somit knapp eine Million Menschen. Die aktuelle Studie von Gasche, Leiter des Labors für Molekulare Gastroenterologie, wurde im Top-Journal "Gastroenterology" publiziert und entstand in Zusammenarbeit mit dem MedUni-Wien-Mikrobiologen Athanasios Makristathis, David Berry und Markus Muttenthaler (Universität Wien) sowie Timo Rath (Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen).

Ungleichgewicht der Bakterienflora

Betroffen von den bakteriellen Biofilmen sind demnach vor allem Menschen, die ein Ungleichgewicht der Bakterienflora im Darm aufweisen und im Verlauf ihres bisherigen Lebens viele Medikamente eingenommen hatten. Eine Untergruppe betrifft auch Patienten, die bereits Organtransplantationen hinter sich haben. "Bestimmte Medikamente, wie Protonenpumpeninhibitoren, können die Balance des bakteriellen Ökosystems stören. Die Bakterien geraten in einen Überlebenskampf. Um diesen Stress besser auszuhalten, schließen sie sich sicherheitshalber zusammen und bilden Biofilme, eine Art Schutzraum, der sie gegenüber Antibiotika und anderen Umweltgiften resistent macht", erläuterte Gasche.

Insgesamt wurden in der Studie mehr als 1.000 Darmspiegelungen durchgeführt. Zwei Drittel jener Personen, die Symptome eines Reizdarms zeigten, hatten Biofilme im Dünn- und oder Dickdarm. Aber auch bei einem Drittel der Patienten mit Colitis ulzerosa finden sich diese mukosalen Biofilme.

Hilfe von der "endoskopischen" Spritzpistole

Diese bakterielle Matrix, die netzförmig oder auch flächig auftreten kann, klebt wie eine dünne Schicht auf der Darm-Schleimhaut - vergleichbar in etwa mit Zahnbelag bei Karies - und beeinträchtigt deren Funktionen und damit auch jene des Darms stark. "Bisher hatte man bei den Untersuchungen immer angenommen, dass es sich bei diesem klebrigen Film um Rückstände von Verunreinigungen des Darms handelt, die schwer zu beseitigen waren", sagt Gasche. "Jetzt konnten wir aber nachweisen, dass hier die Matrix von Bakterien klebt." Für die Hauptautoren der Studie, Maximilian Baumgartner und Michaela Lang, eine revolutionäre Entdeckung, gleichzusetzen "mit der Entdeckung des Stäbchenbakteriums Helicobacter pylori, die das Magenmilieu nachhaltig verändern".

In vielen Fällen können diese Biofilme im Dickdarm mit einer endoskopischen "Spritzpistole" weggespült werden. Zukünftige Studien sollen zeigen, ob die Betroffenen dadurch beschwerdefrei werden. Biofilme im Dünndarm, die auch häufig vorkommen, könnten damit allerdings noch nicht beseitigt werden. Weitere Forschungen der MedUni-Wien-Experten, wie man auf Basis der nun gewonnenen Erkenntnisse über die Biofilme diese künftig vielleicht generell entfernen oder sogar vermeiden kann, laufen bereits.

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