Wie wahrscheinlich ist es, dass wir in Österreich schon bald mit Sputnik V impfen?
MARKUS ZEITLINGER: Beim Impfstoff gibt es drei Aspekte: Man reserviert ihn, man kauft ihn, man verimpft ihn. Derzeit geht es in Richtung reservieren. Das halte ich grundsätzlich auch für gut. Kaufen ist eine politische Entscheidung: Will man das machen, bevor man eine Freigabe hat? Ich persönlich wäre da vorsichtig. Ich vergleiche das immer ein bisschen mit einem Autokauf. Wenn ich ein Auto kaufen will und der Verkäufer sagt mir, dass er eh noch ein Pickerl macht, aber ich das Fahrzeug jetzt schon kaufen soll, dann werde ich normalerweise sagen: „Machen Sie das Pickerl, dann unterschreibe ich den Kaufvertrag.“ Sonst sitze ich am Ende vielleicht mit einem Auto da, dass ich nicht fahren kann. Diese Situation könnte auch beim Impfstoff eintreten: Wir kaufen ihn, können ihn aber nicht impfen.

Wäre es überhaupt möglich, dass Österreich den Impfstoff vor der EU zulässt?
Das Problem ist, eine richtige Zulassung in Österreich gibt es nicht. Das sieht das Gesetz nicht vor. Es muss eine zentrale Zulassung geben. Das ist die einzige Möglichkeit, um Medikamente, die gegen Viren wirken, in der EU zuzulassen. Was man machen könnte: Man kann eine Ausnahmeregelung treffen. In Österreich wäre das nach den Paragrafen 8 und 914 des Arzneimittelgesetzes möglich. Diese regeln eine Verordnung, die der Gesundheitsminister treffen kann. Diese Verordnung besagt, dass ich ein Produkt anwenden darf, obwohl es nicht zugelassen ist. Wie man das interpretiert, bleibt der Regierung überlassen. Sie könnten das an die Behörde weiterleiten, die den Impfstoff dann freigeben soll. Hier ist die Frage: Warum sollte die österreichische Behörde das schneller können als die EU? Es kann außerdem nicht ausgeschlossen werden, dass dem Hersteller Daten fehlen, denn er hat immer noch nicht für eine zentrale Zulassung eingereicht. Das beste das wir kriegen könnten wäre ein Impfstoff, bei dem mehr Fragen hinsichtlich Qualität offen bleiben, als bei anderen. Und da ist die Frage: Wollen wir das?

Markus Zeitlinger
Markus Zeitlinger © Felicitas Matern

Was spricht für diesen Impfstoff?
Gehen wir davon aus, dass die Daten aus der Publikation stimmen, dann ist Sputnik V ein hochwirksamer Impfstoff mit einer rund 90-prozentigen Schutzrate gegen eine generelle Covid-19-Erkrankung. Außerdem schützt dieser Impfstoff demnach sehr gut vor schweren Verläufen und scheint keine schlimmen Nebenwirkungen zu haben.

Gibt es noch Bedenken gegenüber Sputnik V?
Was ein bisschen ein Nachteil sein könnte: Sehr wenig alte Menschen waren in die Zulassungsstudien eingeschlossen. Daher hat man dazu noch nicht viele Daten. Dazu kommt, dass der Impfstoff noch nicht in EU-Ländern geimpft wird, bei denen man sich sicher sein kann, dass die Meldemechanismen gut funktionieren – sprich, das beispielsweise Meldungen über Nebenwirkungen verlässlich an die anderen Länder weitergegeben werden. Außerhalb der EU haben wir auf solche Meldungen keinen direkten Zugriff und sind darauf angewiesen, dass uns diese gemeldet werden. Daher müssen wir uns voll und ganz auf die Zulassungsstudie verlassen – mehr darüber hinaus haben wir nicht vorliegen. Das kann aber auch durchaus reichen.

Wie sieht es mit der Qualitätssicherung aus?
Wir wissen, dass der Impfstoff anfangs in sehr kleinen Mengen hergestellt wurde. Das ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Aber dann gibt es ein sogenanntes „Upscaling“. Das bedeutet, dass der Impfstoff ab dann in viel größeren Mengen hergestellt wird. Diese Prozesse sind bei Impfstoffen durchaus komplex. Dabei muss man beweisen, dass das Produkt, das man nachher hat, gleich gut ist, wie das Produkt, das man in der Zulassungsstudie hatte. Und hier kann ich nicht beurteilen, ob das den europäischen Standards entspricht. Das muss die europäische Behörde unbedingt begutachten und dann hätte ich nicht das geringste Problem, den Impfstoff zu verwenden.

Sputnik V ist wie AstraZeneca ein Vektorimpfstoff. Worin unterscheiden sich die beiden Impfstoffe?
Das Besondere an Sputnik V ist, dass hier zwei verschiedene Vektoren verwendet werden. Es wird ein anderer Vektorvirus bei der ersten Teilimpfung verwendet als bei der zweiten. Die Idee dahinter ist, dass man weniger Antivektor-Antikörper hat – das heißt, die Immunantwort könnte theoretisch eine bessere sein.  

Bei AstraZeneca gibt es derzeit viele Bedenken, müssen diese auch im Hinblick auf Sputnik V bedacht werden?
Bis auf das Verwenden zweier verschiedener Vektoren gibt es keinen großen Unterschied zwischen den beiden Impfstoffen. Wenn die Thrombozytopenie tatsächlich eine Nebenwirkung sein sollte – man ist sich diesbezüglich ja noch nicht ganz sicher – dann könnten das vermutlich auch bei Sputnik V eine Rolle spielen. Ein ähnliches Signal könnte man auch beim Janssen-Impfstoff sehen, wenn man sich die Zulassungsstudien anschaut. Auch das ist ein Vektorimpfstoff. Wir können allerdings auch nicht vollständig ausschließen, dass es bei anderen Impfstoffen der Fall sein könnte. Nächsten Dienstag tagt das Sicherheitsgremium der EMA erneut und dann werden wir sehen, was wir weiter entscheiden werden – auch in Österreich. Fix ist schon jetzt für mich, dass der Gesamtnutzen der Impfstoffe gegenüber dem Schaden durch sehr seltene Nebenwirkungen deutlich überwiegt.

Schützt Sputnik V auch vor den neuen Mutationen?
Dazu kann ich noch gar nichts sagen. Wir tun uns auch bei anderen Impfstoffen schwer, das zu beurteilen, wobei gerade heute wieder sehr ermutigende Daten von Biontech/Pfizer bekannt geworden sind.