Die stille Zeit kann manchmal ganz schön laut werden, denn zu Weihnachten und rund um den Jahreswechsel gehen im Familien- und Verwandtenkreis oft einmal die Wogen hoch. Angesichts der sich nähernden streitaffinen Zeit lässt eine neue Studie aus den USA aufhorchen: Negative Gefühle vor den eigenen Kindern zu unterdrücken sei schlecht für den Nachwuchs. Dieses Ergebnis veröffentlichten drei Forscherinnen kürzlich im US-Wissenschaftsjournal „Emotion“.

Das Trio setzte zunächst 109 Elternpaare einer Stresssituation aus. Die Eltern mussten einen Vortrag halten, für den sie stark kritisiert wurden. Danach sollten die Elternteile gemeinsam mit ihren Kindern – Söhne und Töchter zwischen sieben und elf Jahren – ein Lego-Haus bauen, wobei die Kinder ausschließlich Anweisungen geben durften. Die Hälfte der Elternpaare wurde gebeten, ihre schlechte Stimmung, so gut es ging, zu verbergen.

Das Ergebnis gibt zu denken: Elternpaare, die ihre Gefühle unterdrückten, waren ihren Kindern gegenüber weniger zugänglich, liebevoll und warmherzig als jene aus der Kontrollgruppe, die ihren Gefühlen quasi „freien Lauf“ ließen. Und auch die Kinder reagierten weniger zugänglich und positiv. Soll und darf man also offen vor seinen Kindern streiten? Oder ist es doch besser, ihnen eine heile Welt vorzugaukeln?

Kinder lernen von Eltern mit Gefühlen umzugehen

„Man sollte diese Studie auf keinen Fall fehlinterpretieren“, warnt die Wiener Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger. Das heißt: keinesfalls alles vor den Kindern ausstreiten und ihnen immer „reinen Wein einschenken“, aber – und das ist ein heikler Grenzgang – auch nicht so tun, als wäre „eh alles heil“, wenn man in Wahrheit gerade die Welt zusammenstürzen fühlt. Kinder lernen nämlich in erster Instanz von ihren Eltern bzw. allernächsten Bezugspersonen, wie man mit Gefühlen umgeht. Wichtig dabei sei allerdings, zwischen Gefühlen und Impulsen zu unterscheiden. „Zwei unterschiedliche Dinge“, wie die Psychotherapeutin aufklärt.

So kann man beispielsweise wütend (ein Gefühl) auf seinen Partner sein und gleichzeitig den Impuls haben, ihn anbrüllen oder gar tätlich werden zu wollen. „Wir lernen diesen Impuls zu modulieren bzw. zu modifizieren und diesen starken aversiven Antrieb kulturell zu überformen, sodass er einen sozial tolerablen Ausdruck bringt und damit dann auch positiv lösungsorientiert wird“, erklärt Leibovici-Mühlberger.

Was bedeutet das im Klartext? Der Nachwuchs bekommt natürlich mit, wenn die Stimmung im Zuhause sprichwörtlich am Dampfen ist. Dafür sorgen meist klar sichtbare Faktoren bei den Eltern wie eine lautere Stimme, ein schärferer Gesichtsausdruck oder aber provokatives Sich-Anschweigen. „Das ist ein feines Zusammenspiel auf der psychovegetativen und motorischen Ebene unserer Gesamtpersönlichkeit“, erklärt die Ärztin. In diesem Moment so zu tun, als sei alles in Ordnung, würde das Kind massiv verwirren.

Was also konkret tun?

„Man muss in kindgerechter Form darauf hinweisen, dass es einen Streit bzw. eine Dissonanz gibt, die jedoch auf Elternebene gelöst wird“, rät Leibovici-Mühlberger. Es geht um Information in neutraler Form. „Wenn das Kind bereits alarmiert kommt und fragt, ob die Eltern denn streiten, dann sollte man nicht plötzlich in einen Kuschelweichspülmodus umsteigen, das würde das Kind verwirren“, so die Expertin. Indes müsse dem Nachwuchs klar vermittelt werden, dass Mama und Papa gerade unterschiedlicher Meinung sind, dass das unangenehm ist und dass die Eltern versuchen würden, das Problem zu lösen, und dafür etwas Ruhe brauchen.

Im besten Fall bestätigen das beide Elternteile. „Man sollte schon bei der sozialen Wahrheit bleiben, das Kind allerdings nicht beängstigen“, rät Leibovici-Mühlberger. Drohungen wie „Jetzt lasse ich mich scheiden!“ seien absolut tabu. Ebenso nicht zu empfehlen sei es, das Kind zu einer Positionierung – Papa oder Mama – zu zwingen. „Das Kind soll auf keinen Fall Richter oder Adjutant sein und auch nicht um seine Meinung gefragt werden“, so der Expertinnentipp. Wesentlich sei die Botschaft, dass Friktionen ein normaler Teil des Zusammenlebens sind und diese nicht immer unbedingt sofort die Existenz dieses sozialen Systems – in diesem Fall also die Familie – gefährden würden, sondern von denen, die betroffen sind, nämlich den Eltern, gelöst werden müssten.

Und wenn ein Streit doch zu eskalieren droht?

Wenn die Impulskontrolle bei einem selbst oder beim Partner am Versagen ist, sollte man auf die Bremse steigen. „Am leichtesten merkt man es bei sich selber, wenn die eigene Impulskontrolle – jetzt wird es mir zu eng – schwerzufallen beginnt“, erklärt Leibovici-Mühlberger. Dann sei es Zeit, um ein Time-out zu bitten und auf Beruhigungsrituale, wie zum Beispiel einmal um den Block gehen, zurückzugreifen. Wichtig dabei sei es allerdings, eine konkrete Vereinbarung einzugehen, wann das Gespräch wieder aufgenommen wird. „Nicht einfach weglaufen, denn das führt beim Gegenüber oft zum Nachlaufen und zum Festhaltenwollen“, so die Psychotherapeutin. Eskalation ist dann meist die Folge oder aber ein kompletter Abbruch der Kommunikation, was wiederum einen Spannungsanstieg in der Familie zur Folge hat.

Martina Leibovici-Mühlberger  Martina Leibovici-Mühlberger ist Mutter von vier Kindern, praktische Ärztin, Gynäkologin, Psychotherapeutin, Gründern der ARGE Erziehungsberatung „Fit for Kids“ sowie Buchautorin („Der Tyrannenkinder-Erziehungsplan).
Martina Leibovici-Mühlberger Martina Leibovici-Mühlberger ist Mutter von vier Kindern, praktische Ärztin, Gynäkologin, Psychotherapeutin, Gründern der ARGE Erziehungsberatung „Fit for Kids“ sowie Buchautorin („Der Tyrannenkinder-Erziehungsplan). © Juergen Fuchs