Die 92-jährige Mutter unserer Leserin lebt seit drei Monaten im Altenheim. Sie hat das grundbücherlich gesicherte Wohnrecht in einer Wohnung ihres Sohnes. „Seit Jahresbeginn habe ich für meine Mutter eine Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger, die auch offiziell registriert ist“, erzählt die Tochter. Ihr Bruder habe nun das Schloss der Wohnung ausgetauscht, sodass weder sie noch ihre Mutter Zutritt zur Wohnung hätten. „Mein Bruder ist beruflich in Köln und kommt nur alle 14 Tage kurz nach Hause. Die Wohnung wird weder gelüftet noch sonst irgendwie gepflegt. Wenn meine Mutter sagt, dass sie in die Wohnung will, antwortet mein Bruder nur, sie sei jetzt im Altenheim zu Hause und sonst nirgends“, klagt die Tochter und fragt: „Darf meine Mutter noch in ihre Wohnung? Habe ich als ihre Vertretung das Recht, in die Wohnung zu gehen, Sachen für sie zu holen und die Wohnung zu pflegen? Und darf mein Bruder die Wohnung der Mutter mit fremden Personen benutzen?“ Immerhin hätten ihr zwei Notare zur Vertretungsbefugnis geraten.

Wir haben den Villacher Rechtsanwalt Herwig Hasslacher um Beurteilung des Sachverhalts gebeten. Demnach geht es in diesem Fall um eine Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger nach altem Recht – vor dem Inkrafttreten des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes (2. ErwSchG) am 1. Juli 2018, damals wurde aus dem Angehörigenvertreter der „gesetzliche Erwachsenenvertreter“.

Herwig Hasslacher ist Rechtsanwalt in Villach
Herwig Hasslacher ist Rechtsanwalt in Villach © KK

Gemäß Paragraf 284b des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in der bis zum 2. ErwSchG geltenden Fassung kann sich eine Person, die nicht (mehr) in der Lage ist, Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens selbst zu besorgen, bei diesen Rechtsgeschäften von einem „nächsten Angehörigen“ vertreten lassen, insbesondere von ihren Kindern. Dazu gehören auch Rechtsgeschäfte zur Deckung des Pflegebedarfs sowie die Geltendmachung von Ansprüchen, die aus Anlass von Alter und Krankheit zustehen, wie etwa Ansprüche auf Pflegegeld. „Der nächste Angehörige ist befugt, über laufende Einkünfte und pflegebezogene Leistungen zu verfügen, soweit dies zur Besorgung der Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens und zur Deckung des Pflegebedarfs erforderlich sind“, erklärt Hasslacher, fügt jedoch hinzu: „Die Vertretungsbefugnisse nächster Angehöriger sind sehr beschränkt.“

Zum vorhandenen „unentgeltlichen Wohnungsrecht“ der Mutter, das dem vorliegenden Übergabsvertrag von 1984 zu entnehmen ist, stellt der Jurist fest: „Da der Wohnungsberechtigte Rechtsbesitzer ist, steht ihm gegen die Störung seines Rechtes sowohl durch den Eigentümer der Sache als auch durch Dritte die Besitzstörungsklage und die Servitutsklage zur Verfügung. Beide gerichtlich einzubringende Klagen sind auf Abwehr von Behinderungen, nämlich die Wiederherstellung des Vorzustandes und die Unterlassung künftiger Störungen gerichtet.“ Laut Hasslacher besteht allerdings ein Missverständnis, wenn häufig behauptet wird, dass nur der Wohnungsberechtigte selbst die Wohnung betreten und das Wohnungsrecht ausüben darf. „Es ist in der Rechtsprechung schon lange anerkannt, dass der aus einem Wohnungsgebrauchsrecht Berechtigte auch Besuche im üblichen Ausmaß empfangen darf und grundsätzlich auch einen Ehegatten oder einen Lebensgefährten oder Kinder bei sich aufnehmen darf.“ Dass die Tochter der Wohnungsberechtigten die Wohnung ihrer Mutter betreten kann, stehe daher außer Zweifel. Der nächste Angehörige könne mit der Vertretungsbefugnis außerdem Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens für den Betroffenen besorgen. Dazu gehöre auch das Besorgen von Dingen aus besagter Wohnung. Auch die Pflege der Wohnung und nötige Inspektionen könnten unter die Ausführung alltäglicher Geschäfte fallen. „Ich rate der Dame sogar dazu, diese Aufgaben zu erledigen und somit das Wohnungsrecht auszuüben, um dem Bruder nicht Argumente für eine allfällige Verjährung oder einen Verzicht auf das Recht in die Hand zu geben“, fügt Hasslacher hinzu.

Wenn sonst nichts mehr hilft

Sollte sich mit dem Bruder keine außergerichtliche Einigung finden lassen – wobei eine solche freilich anzustreben ist –, sei an folgende zwei Möglichkeiten zu denken: Einerseits könnte die Tochter ihre „Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger“ nach altem Recht beenden und die „gesetzliche Erwachsenenvertretung“ nach dem 2. ErwSchG in Anspruch nehmen. Andererseits könnte sich die Tochter eingeschränkt auf die Belange der Wohnung als „gerichtlicher Erwachsenenvertreter“ (nach altem Recht: „Sachwalter“) vom Gericht bestellen lassen. Der Gang zum Pflegschaftsgericht sei damit aber unausweichlich. Die Sache ist also kompliziert. Der Rat für alle, die ähnliche Probleme vermeiden wollen: „Errichten Sie, solange Sie geistig noch fit sind, eine schriftliche Vorsorgevollmacht und lassen Sie diese auch registrieren!“